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Schielende Mobilfunkantennen und langsame Berner Behörden

Bei Allem was gegen Mobilfunk spricht, stellen sich Berner Behörden gerne besonders begriffsstutzig. So auch bei schielenden Antennen, sprich Antennen mit Seitensteuerung.

Von André Masson
Langenthal, 13.12.2015

Neue Mobilfunk-Technologien halten sich nicht an eine veraltete Gesetzgebung. Die Entwicklung findet weltweit ungebremst statt – bei uns sucht man Beruhigungspillen dafür, dass gebaut werden darf, was nach den Gesetzen nicht erlaubt ist.

Das neue Stichwort bei LTE heisst „Seitensteuerung“ oder „Beamforming“.  Die Sendeantenne strahlt dabei in der Richtung nicht mehr fest wie bisher, sondern variabel: elektronisch werden die Gesprächsteilnehmer blitzschnell verfolgt, um sie jederzeit mit einem stärkeren Signal zu bedienen.  Da kommt das bisherige Verfahren mit dem alten Standortdatenblatt nicht mehr mit. Auch die Konsequenzen für die Abnahmemessung stehen noch in den Sternen, wenn der Hauptstrahl seitlich herumtanzt.

In Langenthal plant SUNRISE / HUAWEI eine Anlage am Hinterbergweg 8A, die mit neuartigen  Antennen bestückt wird. Es gibt pro Sektor zwei bisherige Antennensysteme, nebeneinander in einem einzigen, breiteren Gehäuse montiert (Antennentyp K80010826). Durch zeitliche Verzögerung des einen Signals kann der Gesamtstrahl seitlich abgelenkt werden, wie es bei  Radarschirmen schon lange üblich ist.

schielende AntenneBild oben: Auszug aus der Werbebroschüre von HUAWEI. Die Antennendiagramme je zweier, unmittelbar nebeneinanderliegenden Antennen im selben Gehäuse für die Seitensteuerung

Hält der seitlich herumtanzende Strahl die Grenzwerte überall ein ? Bei „schielender Antenne“ muss man in weiteren Wohnungen prüfen, ob die gesetzlichen Limiten eingehalten werden oder nicht. Das hat SUNRISE / HUAWEI in Langenthal nicht gemacht, man rechnet seelenruhig wie bisher mit einem einzigen Strahl „geradeaus“. Bald ist eine  Wohnung gefunden, wo bei 30° Ablenkung die Grenzwerte klar überschritten werden (5.31 V/m). Mit Rechnung und Resultat wurde das in der allerersten Einsprache gerügt, aber es ist auf taube Ohren gestossen. Die Behörden haben diese Rechnung zwar nie bestritten, aber auch nie akzeptiert – denn sonst könnte man ja die Antenne nicht bauen ?

Einsprache, Beschwerde, wie üblich. Die Kantonale Fachstelle BECO ist sich zu Beginn noch sicher: „Eine Seitensteuerung ist nicht möglich“, was leider falsch ist – und viele Juristen auf Trab bringt. Das BECO muss ja nichts bezahlen. Die Stadt Langenthal stützt sich auf das BECO und erteilt die Baubewilligung. Der Kanton (Baudirektion, BVED) fragt zum Glück beim Bund nach, und das BAFU bestätigt ohne weiteres, dass eine Seitensteuerung mit diesen Antennen möglich wird, was im bisherigen Rechenverfahren nicht vorgesehen ist. Leider schweigt sich das BAFU über die Messung aus, denn das bisherige Prinzip der Abnahmemessung klappt auch nicht mehr. Das BECO gibt jetzt kleinlaut zu: „Die Seitensteuerung ist verboten“.

Was jetzt ? Rettende Idee des HUAWEI-Juristen, damit das nicht noch in die Baubewilligung kommt: Wir haben ja die elektronische Ausrüstung noch gar nicht! Das wird behauptet, obgleich HUAWEI im Internet selber sagt, sie würden das bereits machen (**). Einwand der Einsprecher: Eine elektronische Ausrüstung darf jederzeit gekauft und ausgewechselt werden, ohne Meldung an die Behörden,  ohne neues Verfahren. Im Urteil des BVED liest man (ohne Würdigung dieses Einwandes): SUNRISE / HUAWEI hat ja die Ausrüstung noch gar nicht – also gibt es keine Seitensteuerung. Die Antenne wird bewilligt. Es steht nicht einmal im Urteil, dass die Seitensteuerung verboten sei – zum Glück für Sunrise. Einwand der Einsprecher: Auch die Messung ist ja noch unbekannt, um eine Seitensteuerung festzustellen. Antwort BVED: „Wie aus … hervorgeht, ist keine Seitensteuerung der Antenne geplant. Wo keine … (Seitensteuerung) besteht, braucht deren Strahlung auch nicht gemessen zu werden.“ Ist das Problem der nachträglichen Einführung überhaupt gesehen worden ?? Oder kann nicht sein, was nicht sein darf ?

Auch beim Denkmalschutz sehen die Berner kein Problem – trotz massiger Antenne mit einem Kabelsalat von 36 (!) Anschlüssen, nur ca. 50 Meter neben einem vom Regierungsrat geschützten Gebäude. Zwar darf man gemäss den Grundsätzen der Eidg. Kommission für Denkmalpflege EKD (publiziert im „Leitfaden Mobilfunk für Gemeinden und Städten“, p.27) in der Umgebung von Baudenkmälern eine Antenne nur bauen, wenn sie den Blick vom öffentlich zugänglichen Boden auf das Denkmal nicht stört. Das wird hier abgewiesen, nach Anhörung einer Fachkommission: Die Antenne auf dem Nachbarhaus wirkt gar nicht störend. Die Grundsätze der EKD sind  nicht mehr viel wert. „Grundsätze“ und „Empfehlungen“ sind halt relativierbar.

Zu einem Achtel wurde die Beschwerde gutgeheissen. Das BECO wollte bei zwei Wohnungen keine Abnahme-Messung anordnen, wo es der Bund verlangt (rechnerische Prognose bei fixem Strahl:  4.05 V/m und 4.93 V/m bei erlaubten 5 V/m). Gemäss den Bundes-Regeln, die ja auch nur „Vollzugs-Empfehlungen“ sind, müsste gemessen werden, wo die Prognose mehr als 4 V/m ergibt. Die BVED sah es auch so – hier muss gemessen werden! Phantasievoll und praxisfremd ist die Haltung des BECO: Man müsse nicht überall messen, denn: „Falls sich direkt betroffene Anwohner erkundigen würden, könnten zum Zeitpunkt der Abnahmemessung auch diese Orte berücksichtigt werden“. Das heisst also: Nicht mehr die Behörden prüfen, ob eine Anlage gesetzeskonform betrieben wird, sondern die Anwohner müssen sich spontan und erst noch zur richtigen Zeit danach erkundigen – erst dann wird abgeklärt. Zum Glück hat dieser Unsinn Schiffbruch erlitten.

Andernorts in der Schweiz wird die Seitensteuerung auch eingeführt – so viel ist sicher! Ob es in anderen Kantonen auch so leicht möglich ist, durch nachträgliches Auswechseln der Elektronik einen illegalen Zustand des Senders herbeizuführen – ohne dass es jemand nachweisen, widerlegen oder verhindern kann ?

(**)  HUAWEI-Werbung dafür, dass der Strahl seitlich abgelenkt wird, in englisch, vgl. Fig. 4: wie man statt in drei Sektoren in deren sechs sendet:
www.huawei.com/ilink/en/download/H2014043004

Von Hans-U. Jakob

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