5G: Das grosse Juristengeschwurbel rund um den Korrekturfaktor
Vom Bundesamt für Umwelt und den kantonalen Umweltämtern wird behauptet, bei adaptiven 5G-Sendeantennen würde durch die im Millisekunden-Takt wild in einem 120°-Kreissektor herumtanzenden Strahlenkeulen (Datenbeams) die Gesamtbelastung im bestrahlten Sektor reduziert. Deshalb dürfe die Sendeleistung im Standortdatenblatt zwecks Erteilung der Baubewilligung, je nach Anzahl der rotierenden Beams, um Faktor 2.5 bis 10, tiefer als effektiv benötigt, deklariert werden. Es seien ja nie alle Beams mit voller Leistung im Einsatz.
Bei über 1000 Endgeräten (Handys, PC’s, Router usw.) in einem 120°-Kreissektor, die im Millisekunden-Takt, so viele wie möglich gleichzeitig, angeschossen werden, ist das natürlich ein schlechter Scherz. Da bleibt keine Ritze mehr im Dunkeln! Da ist rein nix mehr von Reduktion!
Auch wenn der Bundesrat am 17.Dezember 2021 diesen fiesen Trick in die NIS-Verordnung in Anhang 1, Ziffer 63 hineinschreiben liess, wird die Sache nicht glaubwürdiger. Vielmehr ging es dabei darum, eine Lockerung des Strahlungsgrenzwertes (Anlagegrenzwertes) von 5 auf 20V/m am Parlament und am Volk vorbeizuschmuggeln.
Von Hans-U. Jakob (Gigaherz.ch)
Schwarzenburg, 16.Mai 2023
Wäre es nach den Wünschen der Mobilfunkbetreiber, des Bundesamtes für Umwelt und der kantonalen Umweltdirektoren gegangen, hätte diese hinterlistig versteckte Grenzwertlockerung an bereits erstellten adaptiven 5G-Sendeantennen, lediglich mittels Nachreichen eines korrigierten Zusatzblattes No.2 zu den Standortdaten an die kantonalen Vollzugsstellen, ohne erneute öffentliche Baupublikation, lediglich in einem Bagatellverfahren ohne Benachrichtigung der Anwohnerschaft erfolgen können.
Dann kam der gut eingespielten Mannschaft der langersehnte Bundesgerichtsentscheid 1C_100/2021 (Steffisburg) in die Quere. Ein Urteil welches ein Leiturteil hätte sein sollen, die 5 daran beteiligten tapferen Bundesrichter jedoch ein prächtiges Eigengoal schossen.
Da das Spiel beim Bundesgericht ohne Schiedsrichter stattfand, startete der Gigaherz-Präsident vor 5 Wochen, das nachfolgende Protestschreiben:
Schwarzenburg, 8. April 2023
An den Vorsteher UVEK, Herrn Bundesrat Albert Rösti
An die Konferenz der Kantonalen Umweltdirektoren, BPUK
An die Kantonalen Umweltämter und deren NIS-Fachstellen
Betrifft Bagatellbewilligungen für die Hochrüstung von Mobilfunk-Basisstationen auf adaptives 5G
Sehr geehrter Herr Bundesrat,
Sehr geehrte Damen und Herren,
Das Bundesgerichtsurteil 1C_ 100/2021 vom 14.Februar 2023 (Datum der Veröffentlichung 17.März 2023) untersagt explizit, Mobilfunk-Basisstationen nachträglich lediglich mittels eines modifizierten Zusatzblatts 2 des Standortdatenblatts, mit einer Bagatellbewilligung auf adaptiven Betrieb mit Korrekturfaktor hochzurüsten.
Entgegen der Ansicht der kantonalen Umweltdirektoren und des Bundesrates verlangt das Bundesgericht für das nachträgliche Ersuchen, bei bestehenden Anlagen den Korrekturfaktor gemäss NISV, Anhang 1 Ziffer 63, anwenden zu dürfen, ein ordentliches Baubewilligungsverfahren.
Die Erwägungen des Bundesgerichts lauten
Zitat aus Erwägungen Punkt 6.3.2:
Ebenso besteht keine Veranlassung, im vorliegenden Verfahren auf den Korrekturfaktor KAA einzugehen und die diesbezüglichen Rügen und in diesem Zusammenhang gestellten Verfahrensanträge der Beschwerdeführenden zu behandeln.
Daran vermag nichts zu ändern, dass die Swisscom (Schweiz) AG in ihrer Vernehmlassung an das Bundesgericht ausführt, die adaptiven Antennen bzw. deren Betrieb sollten nach Erlangung der rechtskräftigen Baubewilligung durch Aktualisierung des Standortdatenblatts an den Nachtrag zur Vollzugsempfehlung angepasst werden. Streitgegenstand ist die dem vorliegenden Verfahren zugrunde liegende Bewilligung, die für den Neubau einer Mobilfunkanlage erteilt wurde, bei welcher der Korrekturfaktor nicht angewendet wird. Dass die Vorinstanz erwogen hat, bei einer Leistungserhöhung infolge Berücksichtigung eines „Erleichterungsfaktors“ wäre mit stärkeren Immissionen zu rechnen, eine solche Leistungssteigerung könnte nur in einem ordentlichen Verfahren mit entsprechenden Einsprachemöglichkeiten bewilligt werden und nicht – wie die Beschwerdeführenden meinten – in einem sog. „Bagatellverfahren“, ist nicht zu beanstanden. Folglich wird gegebenenfalls in einem späteren Verfahren zu klären sein, ob die von der Swisscom (Schweiz) AG in Zukunft möglicherweise beabsichtigte Leistungserhöhung im genannten Sinn zulässig wäre (vgl. angefochtenes Urteil, E. 4.8). Ende Zitat.
Wir wiederholen ausdrücklich:
Zitat: Dass die Vorinstanz erwogen hat, bei einer Leistungserhöhung infolge Berücksichtigung eines „Erleichterungsfaktors“ wäre mit stärkeren Immissionen zu rechnen, eine solche Leistungssteigerung könnte nur in einem ordentlichen Verfahren mit entsprechenden Einsprachemöglichkeiten bewilligt werden und nicht – wie die Beschwerdeführenden meinten – in einem sog. „Bagatellverfahren“, ist nicht zu beanstanden. Ende Zitat.
Damit dürfte wohl klar sein, Bagatellbewilligungen im Rahmen der Gewährung eines Korrekturfaktors, sind ab sofort illegal.
Wir ersuchen Sie deshalb dringend, alle bisher in diesem Sinne erteilten Bagatellbewilligungen zu widerrufen und dafür zu sorgen, dass die betreffenden Anlagen sofort nur noch ohne Korrekturfaktor betrieben werden.
Ebenso bitten wir um Zustellung einer Liste der erteilten Bagatellbewilligungen, damit wir vor Ort nachmessen können, ob unsere Forderungen erfüllt sind.
Wir erwarten eine beschwerdefähige Antwort und verbleiben mit freundlichen Grüssen,
Gigaherz.ch
Schweizerische IG Elektrosmog-Betroffener
Flüehli 17, 3150 Schwarzenburg
Hans-U. Jakob (Präsident)
Am heftigsten reagierte das Amt für Abfall, Wasser, Energie und Luft des Kantons Zürich (AWEL). Dessen Sektionsleiterin, Frau Nadja Vogel schrieb uns ziemlich empört, Zitat: Ihre Schlussfolgerungen aus den Erwägungen 6.3.2 des erwähnten Urteils können wir nicht nachvollziehen. Das Bundesgericht sieht explizit keine Veranlassung auf die Thematik der Korrekturfaktoren überhaupt einzugehen, da in den Gesuchsunterlagen für den strittigen Anlageneubau die Anwendung eines Korrekturfaktors nicht vorgesehen war. Das Gericht stellt vielmehr fest, dass die Frage, ob eine mögliche zukünftige Leistungserhöhung durch die Anwendung eines Korrekturfaktors eines ordentichen Bewilligungsverfahrens bedürfe, zwar berechtigt sei, gegebenenfalls aber in einem späteren Verfahren geklärt werden müsse.» Ende Zitat.
Kommentar Gigaherz: Aber sicher sah sich das Bundesgericht veranlasst sich mit der Thematik der Korrekturfaktoren zu befassen! Denn erstens stand diese Thematik in der Beschwerde an einer Schlüsselstelle und zweitens musste sich das Bundesgericht zwangsläufig mit dieser befassen, weil mit den im strittigen Antennenbaugesuch deklarierten Sendeleistungen für die adaptiven Sendeantennen von je 100Watt ERP, die Anlage gar nicht hätte zum Laufen gebracht werden können.
Man stelle sich die 100Watt ERP (effective radiated power) oder auf Deutsch «effektiv abgestrahlte Leistung» vor, die bei diesem Antennentyp noch durch den Antennengewinn von Faktor 125 dividiert werden müssen und demnach lediglich noch 0.8Watt der in die Sendeantenne eingespiesenen Leistung entsprechen. Und mit diesen 0.8Watt, also einem halben Taschenlampenbirrli hätten die 5 Bundesrichter 33% eines Vorstadt-Wohnquartiers vollständig ausleuchten wollen.
Tja Frau Vogel dann unterstellen Sie den 5 Bundesrichtern, ganz schön bunte Vögel zu sein. Bis jetzt war ich zwar der Einzige in der Schweiz, der diesen Ausdruck zu gebrauchen wagte. Danke für die Unterstützung!
Bild oben: Steffisburger-Birrli. Ob es möglich sei, ein ganzes Vorstadt-Wohnviertel mit nur gerade drei 0.8Wattt-Birrli vollständig auszuleuchten, müsse angeblich erst noch in einem späteren Verfahren geklärt werden, meint der Juristenchoor
Ganz nett reagierte auch die Bau-Planungs- und Umweltdirektorenkonferenz, das ist ein Verein der kantonalen Baudirektoren und Direktorinnen (Regierungsräte), welche den Vollzug in den Kantonen koordiniert, oder koordinieren sollte.
Von da schrieb man uns, Zitat: Ihrem Ersuchen können wir auf Grund unserer fehlenden Zuständigkeit nicht nachkommen. Die BPUK ist keine Bewilligungsbehörde und kann keine beschwerdefähige Antwort erteilen. Ende Zitat.
Das müssen wir uns gut merken. Auf Grund fehlender Zuständigkeit ist die BPUK gar keine Bewilligungsbehörde! Aber den Kantonalen Umweltämtern vorschreiben, was diese zu tun haben, das können sie dann? Besser hätten sie uns wohl geschrieben auf Grund fehlendem Fachwissen in der Funktechnologie können wir Ihrem Ersuchen nicht nachkommen.
Die schönste Antwort kommt wohl vom Bundesamt für Umwelt, resp. dessen Direktorin persönlich, offensichtlich von Bundesrat Albert Rösti in Auftrag gegeben. Zitat: Bei den Ausführungen des Bundesgerichts zur Bewilligungspflicht bei der Aufschaltung des Korrekturfaktors handelt es sich daher um einen sogenannten Obiter dictum (lateinisch «das nebenbei gesagt»). Diese Aussagen des Gerichts sind Ausführungen, die keinen direkten Bezug zur konkreten vom Gericht zu entscheidenden Frage haben. Damit zeigt das Bundesgericht an, wie es eine Frage dereinst zu lösen gewillt sein könnte. (BGE 125 III 209 E.6e) . Solche Aussagen haben gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung keine rechtsverbindliche bezw. präjudizierende Wirkung. Die Frage ob die Aufschaltung eines Korrekturfaktors bei einer bestehenden adaptiven Antenne in einem Baubewilligungsverfahren zu erfolgen hat oder nicht, ist damit noch nicht höchstrichterlich entschieden. Ende Zitat.
Kommentar Gigaherz: Die Frage ist also damit noch nicht höchstrichterlich entschieden. Trotzdem will der federführende Kanton Zürich auf Teufel komm raus weiterhin die nachträgliche Anwendung des Korrekturfaktors bewilligen, welcher den Mobilfunkbetreibern erlaubt, ohne neues Baubewilligungsverfahren 2.5 bis 10 mal stärker, zu strahlen als einst bewilligt wurde.
In einem sogenannten Obiter dictum (lat «das nebenbei gesagt») würde der Autor jetzt meinen: Die Amtsfähigkeit der beteiligten Amts- und Würdenträger wird wohl in einem späteren Gerichtsverfahren zu klären sein. Und solche Aussagen haben gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung demnach keine rechtsverbindliche bezw. präjudizierende Wirkung.
Die kürzeste Antwort kam aus dem Bergkanton Uri. Diese lautete kurz und bündig: «Wir bestätigen Ihnen den Eingang Ihres Schreibens.»
Die Erfreulichste aus dem Kanton Zug: «Im Kanton Zug werden keine Bagatellen mit nachträglich aufgeführtem Korrekturfaktor beurteilt.»
Zugerinnen und Zuger, bitte gut merken und vor allem gut beobachten.
Die restlichen Kantone antworteten nicht. Macht nichts aus. Denn keine Antwort ist auch eine Antwort. Gigaherz erlaubt sich, dies als Verantwortungslosigkeit gegenüber ihren Bürgerinnen und Bürgern zu interpretieren.
Vergleiche mit https://www.gigaherz.ch/5g-fuenf-tapfere-bundesrichter-ziehen-den-stoepsel/
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