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5G: Endlich Klartext aus Lausanne

Bundesrichter sind, funktechnisch gesehen,  offensichtlich nicht ganz so saublöd, wie wir diese bisher eingeschätzt haben. Es hat nur etwas länger gedauert, bis sie erkannt haben wie schamlos und wie brandschwarz sie über Monate und Jahre hinweg von der Mobilfunklobby, den Bundesämtern BAKOM und BAFU und den kantonalen Umweltämtern im Verein mit Interessevertretern aus Politik und Wirtschaft angelogen worden sind.

von Hans-U. Jakob
Schwarzenburg, 17.Mai 2024

Rein statistisch gesehen, gibt es pro 500 kommunalen Baubewilligungsbehörden jeweils nur eine, welche über eine Person mit den notwendigen funktechnischen Kenntnissen verfügt, um ein Baugesuch für eine Mobilfunk-Sendeanlage beurteilen zu können. Die Andern 499 täuschen bei der Abschmetterung von Baueinsprachen gegen Mobilfunksender eine gewisse funktechnische Fachkundigkeit vor, indem sie brav und folgsam die ihnen passenden Argumente aus dem 35-Seitigen Argumentenkatalog der Swisscom herauspflücken.
Dieser Eine pro 500 sass offensichtlich zufällig im Stadtrat der Gemeinde Wil SG. Denn der Stadtrat als Erstinstanz weigerte sich im Juni 2021 der Swisscom eine Bagatellbewilligung für die  nachträgliche Aufschaltung des Korrekturfaktors auf 3 Mobilfunk-Sendeanlagen zu erteilen und verlangte dafür je ein ordentliches Baubewilligungsverfahren mit Einsprachemöglichkeit der betroffenen Anwohnerschaft.
Darauf hin zerrte Swisscom die Gemeinde Wil SG bis vor das Bundesgericht. Mit fatalen Folgen für die Mobilfunkbetreiber.


Bild oben: Bundesgerichtssaal

Wie das soeben veröffentlichte Bundesgerichtsurteil 1C_506/2023 vom 23.April 2024 nun aufzeigtt,
ist bei bestehenden Mobilfunk Sendeanlagen die nachträgliche Aufschaltung des sogenannten Korrekturfaktors ohne offizielle Baupublikation und ohne Einsprachemöglichkeit der betroffenen Bevölkerung, lediglich in einem sogenannten Bagatellverfahren rechtswidrig. Das hätte allein im Kanton Bern zur Folge, dass in 127 Gemeinden 380 5G-Antennen sofort stillgelegt und einem offiziellen Baubewilligungsverfahren zugeführt werden müssten.
Zum besseren Verständnis dieses Textes wird das vorgängige Studium von folgenden Gigaherz-Artikeln dringend empfohlen:
https://www.gigaherz.ch/wp-content/uploads/2022/08/Faktenblatt-2022-1.pdf
und vielleicht auch noch den da
https://www.gigaherz.ch/der-korrekturfaktor-ein-bernische-schwanzbeisser/

Lassen wir doch das Bundesgericht dazu selber reden:


Punkt 4.2 der Erwägungen
im neuesten Urteil lautet, Zitat:  Die Anwendung des Korrekturfaktors auf bisher nach dem „Worst-Case-Szenario“ bewilligte adaptive Antennen führt zu Leistungsspitzen, die deutlich (je nach Korrekturfaktor bis zu 10 mal) über der bisherigen maximalen Sendeleistung liegen können. Die bewilligte Sendeleistung muss nur noch im Mittelwert über 6 Minuten eingehalten werden. Dies hat zur Folge, dass die für ein OMEN berechnete elektrische Feldstärke kurzfristig um maximal einen Faktor 3 übertroffen werden kann. Diese faktische Änderung des Betriebs begründet regelmässig ein Interesse der Anwohnerschaft und der Öffentlichkeit an einer vorgängigen Kontrolle, ob die Bewilligungs-Voraussetzungen erfüllt sind (so auch VG Zürich, Urteile VB.2021.00740 und 00743 vom 27. Oktober 2022 E. 3.3).
Dies gilt auch dann, wenn die Strahlungsbelastung von adaptiven Antennen in der Umgebung der Anlage insgesamt tiefer liegt als bei konventionellen Antennen, da gerade die Strahlungsspitzen in breiten Teilen der Bevölkerung Besorgnis erregen. Ende Zitat.

Na also, geht doch! Das predigen wir doch schon seit 3 Jahrenn. Ohne das Gehalt eines Bundesrichters, war es halt viel weniger wert.
Und weiter geht es in 4.3. Zitat: Die Durchführung eines ordentlichen Baubewilligungsverfahrens erscheint geboten, um das rechtliche Gehör und den Rechtsschutz der betroffenen Personen in zumutbarer Weise zu gewährleisten (Art. 29 und 29a BV). Ende Zitat.
Übrigens: BV heisst Bundesverfassung und OMEN heisst Ort empfindlicher Nutzung, wie Wohn- und Schlafraum, Schul- und Krankenzimmer sowie Innenraum-Arbeitsplatz.

Das Bundesgericht gewichtet für einmal die in der Bundesverfassung festgeschriebenen Rechte demnach höher, als die Verordnung des Bunderates über nichtionisierende Strahlung NISV sowie das weitere Juristengeschwafel der Bundesämter. Das ist doch schon mal ein Anfang! Weitere Eingeständnisse, etwa in Sachen Gesundheitsschädigung müssten jedoch jetzt folgen.

Das Gejammer der Mobilfunkbetreiber in der Tagespresse geht schon los. So Christian Gasser, Geschäftsführer des Schweizerischen Verbandes der Telekommunikation. Zitat aus der Berner Zeitungvom 16. Mai: Der jüngste Bundesgerichtsentscheid hat zur Folge, dass bei den Mobilfunkbetreibern und bei den zuständigen Bewilligungsbehörden ein grosser administrativer Mehraufwand entsteht. Schlimmstenfalls seien tausende Mobilfunkstandorte betroffen. Dies komme zu den rund 3000 Mobilfunkanlagen hinzu, welche bereits heute in Verfahren blockiert seien. Damit wird eine kundengerechte Mobilfunkversorgung mit einer effizienten und zeitgemässen Technologie in der Schweiz weiter stark verzögert. Ende Zitat.
Und Swisscom gibt sich uneinsichtig und lässt in der Berner Zeitung verlauten «Swisscom steht im Austausch mit den zuständigen Behörden und hält sich zu jeder Zeit an die geltenden Bestimmungen von Bund und Kantonen.»
Gigaherz.ch kann bestätigen, dass sich Swisscom jederzeit sehr gerne an die von ihr selbst erfundenen, den Kantonen und dem Bund untergejubelten Bestimmungen und Regeln hält.

Von Hans-U. Jakob

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