Sortierung der Trümmer
Eine Reportage von Hans-U. Jakob, 31.8.2011
Zwecks Sortierung der Trümmer, welche der Blitzschlag aus Lausanne vom 5.April auf ihr Palais der Unantastbarkeit hinterlassen hat, fand am 23. August in Baden (Schweiz) eine Tagung der Schweizer Stromlobby statt.
Unter dem Titel „Freileitung oder Kabel im Höchstspannungsnetz – Der Grundsatzentscheid des Bundesgerichts und seine Folgen“ organisiert vom Institut für Rechtswissenschaften der UNI St. Gallen, sollte aufgezeigt werden, was noch zu retten ist
Zur Vorgeschichte:
Die Bundesämter für Energie (BfE) für Umwelt (BAFU) und das Eidgenössische Starkstrominspektorat (EStI) vertraten bis anhin in einer unheiligen Allianz die Interessen der Stromgiganten weit besser als diese selbst.
Einsprecher und Beschwerdeführer rannten, obschon sie glaubwürdigere Fakten und Argumente besassen, stets gegen eine Mauer.
Die Stromgiganten und ihre Interessenvertreter in den Bundesämtern gerieten damit in eine Art Wahn der Unantastbarkeit und begannen immer dreister zu fantasieren. Das ging letzthin so hoch zu und her, dass selbst das wirtschaftsfreundliche Bundesgericht dem Treiben nicht mehr länger zuschauen konnte.
In einer völlig unerwarteten Schleuderwende um 180° warf nun das Bundesgericht am 5. April 2011 sämtliche Einwände von EStI, BFE, BAFU und der Stromnetzbetreiber gegen eine Erdverlegung von Hochspannungsleitungen über Bord und stellte im letzten zur Beurteilung anstehenden Fall, Gemeinde Riniken gegen AXPO AG.-, nur noch auf den privaten Gutachter der Beschwerdeführer, Prof. Dr. Ing. Heiner Brakelmann der UNI Duisburg-Essen, ab.
Vergleichen Sie bitte mit /auslaufmodell-hochspannungs-freileitung/
Allgemeiner Eindruck über die Tagung
Spötter sprachen von einer Tagung der Ausserirdischen. (Weil Gegner der unterirdischen Kabelverlegung) Astronomisch hoch war demnach die Eintrittsgebühr von Fr. 650.-, mit welcher man sich den Pöbel vom Leibe hielt.
Fast greifbar in der Luft lag die Konsternation über die „Frechheit“ des Bundesgerichts, sich in eine Domäne einzumischen, in welcher jahrzehntelang die Bundesämter zusammen mit der Stromlobby das alleinige, unangefochtene Bestimmungsrecht hatten.
Für eine saubere Auslegung der Trümmer sorgte der supraneutrale Dr. jur. Michael Merker, Lehrbeauftragter der UNI St.Gallen, Sozius von Binder Industrieanwälten in Baden und Inhaber einer eigenen Beraterfirma für Energiekonzerne. Viel Brauchbares blieb nicht mehr übrig, um die Entourage der Strombarone über ihre Riesenblamage hinwegzutrösten. Wie etwa:
Das Urteil Riniken sei nicht prinzipiell für andere Leitungen anwendbar, da die Verkabelungsstrecke nur 1km lang sei.
Die Eingriffe in Boden seien zu wenig geprüft worden.
Und es handle sich lediglich um einen Versuch, Erfahrung in Sachen Bodenverkabelung zu sammeln.
Das Urteil sei noch modifikationsbedürftig.
Mit einem wahren Feuerwerk von Fakten hielt der ebenfalls eingeladene Gutachter der Beschwerdeführenden, Prof. Dr. Ing. Heiner Brakelmann von der UNI Duisburg-Essen, ein überzeugendes Plädoyer für eine Bodenverkabelung im Höchstspannungsnetz.
Mit der Aufzählung von mehreren in Europa bereits verkabelten Strecken von der 20-fachen Länge wurden Merkers Argumente pulverisiert. Zudem verwies Brakelmann in seinem Referat öfters auf die neuartigen Untertunnelungsmöglichkeiten mittels kleinen Tunnelbohrmaschinen, die im hydraulischen Pressvorschub bis in 10Meter Tiefe unter kritischen Gebieten sozusagen hindurch geschoben werden. Ein Verfahren, das erst noch billiger zu stehen kommt, als das Ausheben von Kabelgräben.
Einen überzeugenden Preisvergleich musste auch Merker eingestehen. Der Gesamtkostenfaktor beträgt je nach Verlegungsart für Bodenkabel nur das 0.66- bis 1.83-fache einer Freileitung und die Ausfallsicherheit auf 100km ist mit einer Bodenverkabelung 7.3 mal besser.
Die grösste Sorge der Referenten der Strom-Lobby war, dass sämtliche Mehrkosten, die durch eine Boden-Verkabelung entstehen auf den Strompreis angerechnet werden dürfen. Dies wurde vom Referenten der Regulierungsbehörde ELCOM auch zugesagt, sofern die Verkabelung auf einem rechtsgültigen Urteil beruhe.
Hier sei die Frage erlaubt, ob die Stromlieferanten auch zu einer Reduktion des Strompreises Hand bieten würden, wenn die Verkabelung plötzlich billiger als eine Freileitung wird. Siehe oben.
Weil das Bundesgericht im Grundsatzurteil Riniken in seiner Begründung die enormen Strom-Transportverluste auf Freileitungen anführte, die mit Bodenkabeln 3-4mal geringer ausfallen, sollen die Stromnetzbetreiber jetzt gemäss Votum von ETH-Professor Fröhlich, die neuen Freileitungsprojekte nicht nur mit einer Doppelverseilung, sondern mit einer Viererverseilung pro Phase ausführen. Was wegen der höheren Gewichte zu grösseren Seildurchhängen und somit zu 15% höheren Masten führt. So 92m statt „nur“ 80m.
Alternative Konfliktlösungen seien dringend zu prüfen, sagte die Referentin des Eidg. Starkstrominspektorates, Lic. Jur. Viviane Keller.
Sie schlägt dringend Mediationen mit Anwohnern und Einsprechern vor, sonst hätten wir bald ein Stuttgart 21.
In den vorangegangen Voten war öfters die Rede von der Guerilliataktik der Anwohner die Rede gewesen, welche je länger je mehr mit unnötigen Einsprachen und Beschwerden bis ans Bundesgericht gelangen und dringende Projekte jahrelang verzögern können.
Wie vertragen sich solche Töne mit der Praxis des Bundesamtes für Energie, welche an Einspracheverhandlungen gerade mal 4 Sekunden Redezeit pro Einsprecher zugesteht? So geschehen bei der Leitung Wattenwil-Mühleberg mit insgesamt 20Minuten für 300Einsprecher.
Die Hausaufgaben nicht gemacht hatte das Bundesamt für Umwelt
Elisabeth Sutter Sektion UVP und Raumordnungzeigte eine Serie von Bildern, wo eine Boden-Verkabelung angeblich verboten ist:
Moore, Hochmoore Flachmoore, Hangmoore, Wälder, Hecken, Feuchtgebiete, Trockenwiesen, Grundwasserschutzzonen, Quellwasserschutzzonen usw. Und der Schutz des Bodens mit tausenden von Klein- und Kleinstlebewesen, Käfer Würmer und Mikroorganismem gemäss Art. 6 und 7 VBBo sei auch wichtig.
Brakelmann greift ein
Das sei alles überhaupt kein Problem. Mit der Untertunnelungsmöglichkeit, die erst noch billiger sei als offene Kabelgräben, könne man solche Gebiete heute problemlos bis in eine Tiefe von 10m und mehr unterfahren.
Kabel oder Freileitung – wie wird beim BFE entschieden?
Für die Referentin des Bundesamtes für Energie, Frau Cornelia Gogel ist mit dem Urteil Riniken eine Welt zusammengebrochen. Die Gewichte hätten sich völlig verschoben, bedauert sie.
Obschon das Bundesgericht alle letztinstanzlichen Urteile als nicht mehr relevant für neue Entscheide erklärt hat, zählt sie nochmals die letzten 22 Urteile mit ihren veralteten Konsequenzen auf. Nostalgie oder Sturheit?
Immerhin gibt sie zu, dass keine Ablehnung der Verkabelung aus Kostengründen mehr möglich sei und dass Kabelanlagen aus Gründen des technischen Fortschritts wesentlich preisgünstiger geworden sind
Aber Verkabelungsentscheide will sie auch in Zukunft immer noch von einer Prüfung im Einzelfall erforderlich machen. Sie gibt nochmals ihrem Bedauern darüber Ausdruck, dass jetzt auch die Strom-Transportverlustkosten in die Erwägungen einbezogen werden müssen und zweifelt immer noch stark an der Betriebssicherheit von Kabelanlagen.
Zum Glück hätten wir jetzt das Beurteilungsschema Kabel versus Freileitung, für welches sie sich bei den anwesenden Erfindern, die alle der Strom-Lobby angehören oder dieser sehr nahe stehen, überschwänglich und sehr karrierefördernd bedankt.
Das Beurteilungsschema befinde sich in Revision und komme demnächst zur Anwendung. Dieses sei nicht etwa von der Bevölkerung bei Einsprachen anwendbar, sondern einzig ein Werkzeug für die Bundesämter.
(Sehen Sie bitte dazu unbedingt unter /vernehmlassung-zur-erdverlegung-von-hochspannungsleitungen/ nach)
Frau Gogel spricht immer noch von angeblichen Waldschneisen und Pflanzverboten über den Trassen von Bodenkabeln und von einer hohen Beeinträchtigung des Landschaftsbildes durch Boden-Kabelanlagen. Für sie ist Brakelmann und Stand der Technik offensichtlich noch weniger als Luft.
Sie bedauert ausserordentlich, dass jetzt nicht nur BLN-Gebiete sondern auch im angrenzenden Bereich verkabelt werden müsse und dass Gebiete von nur mittlerer oder lokaler Schutzwürdigkeit ebenfalls unter das Verkabelungsgebot fallen können.
Anmerkung des Verfassers:
Hoffen wir, dass Frau Gogel bald in das Direktorium eines Stromkonzerns weggewählt wird. Sie passt dort viel besser hin.
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