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Freie Fahrt den Strombaronen?

Dies wollte der Bunderat mit seinen perfiden Änderungen der Verordnung über nichtionisierende Strahlung (NISV) vom März 2016 gewähren. Nichtsdestotrotz legen sich seither bereits zum dritten mal betroffene Anwohner quer zu Hochrüstungsprojekten von Höchstspannungs-Freileitungen und die für 2020 geforderte Aufrüstung des Schweizerischen Höchstspannungsnetzes auf 380’000Volt gerät arg ins Stocken.

von Hans-U. Jakob (Gigaherz.ch)
Schwarzenburg, 10.10.2017

Der Bundesrat soll sich hüten, diese Verzögerung den Einsprechenden in die Schuhe zu schieben. Er würde sich besser an die wegweisenden Bundesgerichtsurteile halten und nicht dauernd den Dialog mit den Betroffenen verweigern.


Bild oben: Auch den Dorfbewohnern der Ortschaft Aspi bei Seedorf (BE) ist diese Hochrüstung auf 380’000Volt nicht geheuer. Führt doch die Leitung, die laut Projektbeschrieb lediglich «modernisiert» werden soll, direkt über ihre Hausdächer. Nachfolgend ein Auszug aus ihrer Einsprache an das Eidg. Starkstrominspektorat

Einsprache gegen die Spannungserhöhung und angebliche Modernisierung der 380/132kV Leitung Bassecourt-Mühleberg

Antrag: Die Plangenehmigung ist zu verweigern

Technisches und Vorgeschichte:
Die Transportleistung einer Hochspannungsleitung in Kilowatt, Megawatt oder Gigawatt berechnet sich aus der Spannung in Kilovolt (kV) multipliziert mit dem Strom in Ampère (A).
Um diese Transportleistung zu erhöhen kann man entweder den Strom oder die Spannung erhöhen. Wenn das eine nicht ausreicht, beides zusammen.
Eine höhere Spannung erfordert grössere Isolatoren und grössere Abstände zwischen den Stromleitern und dem Erdboden.
Ein höherer Strom erfordert dickere Stromleiter (Seile) mit höheren Gewichten und erfordert stärkere Masten. Ein höherer Strom bringt weit höhere Transportverluste und weit höhere Baukosten. Deshalb wird immer zuerst auf eine Spannungserhöhung tendiert.
Verantwortlich für das gesundheitsschädigende Magnetfeld einer Hochspannungsleitung ist nicht die Spannung in kV sondern stets der Strom in Ampère.
Bedingt durch gehäuft auftretende Krebsfälle, vor allem Leukämie bei Kindern, musste in der Schweiz der Grenzwert für das Magnetfeld von Hochspannungsleitungen im Februar 2000 von 100Mikrotesla auf 1 Mikrotesla gesenkt werden. Diese Grenzwertsenkung erfordert weitaus grössere Abstände zu bewohnten Häusern als bisher. Je nach Kaliber der Leitung zwischen 30 und 130m.
Leitungen, die vor dem Februar 2000 erstellt wurden dürfen auf Zusehen hin weiterhin mit dem Grenzwert von 100Mikrotesla betrieben werden.
Geregelt wird diese drastische Senkung in der Verordnung über nichtionisierende Strahlung. Abgekürzt NISV

Begründung unserer Einsprache:

A) Unterlassung der Abklärung gesundheitlicher Folgen für die Anwohner.

Als Mindestanforderung hätte gemäss NISV Anhang 1, Ziffer 4 untersucht werden müssen, ob durch die Spannungserhöhung infolge  Absenkung des Stroms, das magnetische Feld, tatsächlich minimiert wird.
Da in den Auflageakten im Umfang von 10 Bundesordnern nirgends verlässliche Angaben über den nach der Spannungserhöhung vorgesehenen Strom in Ampère zu finden sind, kann nicht beurteilt werden, wie sich das magnetische Feld nach der Spannungserhöhung verhalten wird.
Grösse und Intensität des Magnetfeldes sind wie oben beschrieben, nicht von der Spannung in Kilovolt abhängig, sondern vom Strom in Ampère.

Nach der Abschaltung des Kernkraftwerks Mühleberg 2019 wird mit grosser Wahrscheinlichkeit die blosse Spannungserhöhung von 220 auf 380kV nicht ausreichen um den zusätzlichen Stromimport aus Frankreich zu bewerkstelligen. Besonders dann nicht mehr, wenn die Stauseen im Winter leer sind. Vielmehr wird dazu auch die Erhöhung der Stromstärke von Nöten sein.
Eine Erhöhung der Stromstärke ist auch deshalb zu erwarten, weil der bestehende 380kV-Strang bereits so ausgebaut ist, dass dieser problemlos 3200Ampère führen kann. Das heisst mit einer 4er-Verseilung Aldrey 400mm2. Jedes der 4 Seile pro Phase kann laut Tabelle der Hersteller bis 800Ampère führen.
Gegenüber der heutigen Belastung von 1600Ampère pro Phase könnte die Leitung bis zu 3200Ampère pro Phase führen, was zu einer Verdoppelung des heutigen Magnetfeldes sowohl punkto Intensität wie Ausbreitung führen könnte.

Es sind deshalb glaubhafte, verlässliche Angaben über den maximal zulässigen Dauerstrom nach Anhang 1, Ziffer 13 NISV beizubringen. Gleichzeitig sind innerhalb des Untersuchungsperimeters für alle Orte empfindlicher Nutzung sogenannte Isoliniendiagramme zu erstellen, gemäss welcher die Anwohner ihre Magnetfeldbelastung vor und nach dem Umbau der Leitung ablesen können.

Falls das Minimierungsgebot nicht eingehalten wird, ist die Plangenehmigung zu verweigern.

B) Nichteinhaltung des seitlichen Abstandes zu Gebäuden
Sowohl im technischen Bericht, wie im Umweltverträglichkeitsbericht wird lediglich der notwendige Abstand von den untersten Stromleitern zum Erdboden untersucht. Der seitlich erforderliche horizontale Mindestabstand zu Gebäuden, welcher gemäss Leitungsverordnung vom März 1994, Anhang 6, mindestens 6m (5m plus 1m Windausscherung) beträgt, wird vollständig unterschlagen.
In der Ortschaft ASPI (Gemeinde Seedorf), liegen zwischen Mast 23 und 24 über 30 Wohnhäuser unterhalb der bestehenden Leitung. Selbst vor dem Inkrafttreten der NISV im Februar 2000, welche heute für Hochspannungsleitungen dieses Kalibers Mindestabstände von 60m vorsieht, hätten hier, gemäss der Leitungsverordnung von 1994 niemals Baubewilligungen erteilt werden dürfen. Denn bei Seil- oder Mastbruch (Mast 23 und 24) ist in ASPI mit 10 bis 30 Toten durch Stromschläge und Verbrennungen zu rechnen.
Die Untersuchung, wer für diese fahrlässige Zonenplanung und Baugenehmigungen verantwortlich ist, ist nicht Gegenstand dieses Plangenehmigungsverfahrens. FAKT ist einzig, dass die Leitung zwischen Mast 22 und 25 gemäss heutigen Erfahrungswerten und Erkenntnissen verschoben werden muss.  Es sei bei dieser Gelegenheit an den Mastbruch bei Eisregen in der Gemeinde Herbetswil (SO) erinnert, welcher sich auf einer Höchstspannungsleitung gleichen Kalibers ereignet hat. Glücklicherweise ausserhalb des Baugebietes.

C) Nichtbeachtung eines wegweisenden Bundesgerichtsurteils
Mit Urteil 1C_172/2011 vom November 2011 (hohle Gasse) hat das Bundesgericht entschieden, dass fortan bei Änderungen alter Leitungen der Grenzwert von 100Mikrotesla ebenfalls auf 1 Mikrotesla zu senken sei. Selbst dann, wenn für dessen Einhaltung eine Verschiebung oder eine Erdverlegung der Leitung erforderlich würde.
Mit einer noch nie dagewesenen Dreistigkeit im schweizerischen Gesundheitswesen hat der Bundesrat im März 2016 auf Druck der Stromwirtschaft die Verordnung über nichtionisierende Strahlung dahingehend geändert, dass das Bundesgerichtsurteil 1C_172/2011 vom November 2011 praktisch Wirkungslos wird.
Unter Anderem mit Ziffer 12 Abs.7 in Anhang 1 der NISV, welche besagt, dass eine Änderung einer alten Leitung gar keine Änderung sei, solange die Stromleiter (Seile) nicht tiefer zum Erdboden zu liegen kommen als vor der Änderung.
Weitere unannehmbare Neuerungen in der NISV finden sich in Ziffer 3 Anhang 1. Hier wird eine Verschiebung oder Erdverlegung von Leitungen, die geändert werden müssen, in aller Deutlichkeit zum vorneherein ausgeschlossen.
Das Vorgehen des Bundesrates ist rechtsstaatlich höchst bedenklich und muss zuerst noch vom Bundesgericht einer sogenannten akzessorischen Prüfung unterzogen werden. Das heisst, das Bundesgericht wird im konkreten Anwendungsfall, zum Beispiel auf die Klage von Anwohnern hin, die Neuerungen in der NISV auf ihre Rechtsstaatlichkeit hin zu überprüfen haben. Es wäre nicht das erste mal, dass das Bundesgericht Änderungen der NISV kassiert.

Wir erwarten eine sorgfältige Prüfung unserer Argumente und verbleiben mit freundlichen Grüssen,

Unterschriften:

Zustelladresse:
Für den Fall, dass diese Einsprache als Popular- oder Masseneinsprache gewertet wird, soll sich die Behörde an folgende Korrespondenzadresse wenden:
(Diese Adresse ist den direkten Anwohnern bekannt oder kann bei Gigaherz.ch erfragt werden. Anonymes wird nicht beantwortet)

Nützliche Links:

https://www.gigaherz.ch/hochspannungsleitungen-der-grosse-volksbeschiss/

https://www.gigaherz.ch/missratener-persilschein-fuer-hochspannungs-freileitungen/

https://www.gigaherz.ch/hochspannungsleitungen-und-krebs-1659/

https://www.gigaherz.ch/wie-gesund-sind-hochspannungsleitungen/

https://www.gigaherz.ch/hochspannungsleitungen-unter-den-boden/

Von Hans-U. Jakob

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