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Denkmalschutz und Abnahmemessungen ade

Wie soll die Stadtverwaltung die Bevölkerung schützen und die vom Bund geforderten Messungen verlangen – wenn sie der Kanton schon zuvor untersagt ??
Wie soll die Stadtverwaltung den Denkmalschutz pflegen, wenn die oberste Denkmalbehörde des Landes schon zuvor nichts davon wissen will ? So viel Füdle haben sie nicht auf der Stadtverwaltung.

Von André Masson
Langenthal, 23.11.2022

Dauernde Weiterbildung ist angesagt – gerade beim Mobilfunk, der sich in der Technik rasend schnell entwickelt. Nationale Spielregeln wurden 2000 in der NISV festgelegt (Verordnung über Nicht-ionisierende Strahlung). Danach sind Vollzugsempfehlungen, Messempfehlungen, Leitfaden dazugekommen, Nachträge, Erklärungen, Interpretationshilfen usw. Meistens wird versucht, die neue Technik, die nicht mehr zu den bisherigen Spielregeln passt, irgendwie schönzureden, deren Ecken abzuschleifen, Werte umzudefinieren, bis alles wieder schön aufgeht. In den letzten Jahren geht das immer einher mit weniger Rechten der Bevölkerung, aber steten Erleichterungen für die Mobilfunker. Auch die Baudirektoren der Kantone versuchen, auf der eidgenössischen Ebene kräftig mitzuwirken – mit eigenen Vorstellungen, was bloss als Bagatelle zu bezeichnen sei und weder ausgeschrieben werden muss, noch juristisch bekämpft werden darf. Neue Korrektur­faktoren werden erlassen, dass sich die Haare sträuben – und die Sender stärker und stärker werden lassen.

Ein neues Beispiel aus Langenthal zeigt, wie das geht: Alte nationale Regeln werden kantonal über Bord geworfen werden – man glaubt’s kaum. Swisscom operiert in heiklem Gebiet mit acht denkmalgeschützten, inve­nta­risierten Häusern innerhalb des Perimeters. Früher hat gegolten, gemäss Leitfaden Gemeinden und Städte: Weder beim Blick zum Denkmal noch vom Denkmal weg soll die Antenne stören – so ist’s noch in Erinnerung und auch gedruckt im Heft auf meinem Tablar. Aber die Passage ist längstens herausgefallen, gestrichen – man muss ja mit der Zeit gehen. Laufend werden die Rechte der Bevöl­kerung und die Schranken für Swisscom abgebaut.


Bild links: Blick von der Antenne zur denkmalgeschützten Mühle von 1759
Bild rechts: Blick rückwärts von der Mühle zur geplanten Antenne auf dem Lift-Aufbau.
Unter den alten Spielregeln wäre so etwas nicht möglich gewesen, aber heute geht es ganz gut.

Strahlungsprognose: Von sieben gerechneten Wohnungen beim neuen Antennenprojekt haben deren sechs eine Strahlung von über 4.0 V/m zu gewärtigen, zwei sogar von 4.95 V/m. Erlaubt ist bis 5 V/m. Werte über 4 V/m müssten nach dem Bau des Senders mit einer Messung nachgeprüft werden, eigentlich. Man hat ja noch die ganzen Reflexionen, die in der Rechnung nirgends berücksichtigt sind. Ursprüng­lich kämpfte man noch um einen sog. «Faktor zwei», mit dem die Limiten strenger zu beurteilen wären, damit die Reflexionen automatisch abgedeckt wären. Nein, nicht nötig, es kommt ja bei der Messung aus, haben sich die Mobilfunker damals gewehrt.

Bild oben: Liste der gerechneten Prognosen aus dem Standortdatenblatt, gleich sechs mal über 4 V/m!.

Und jetzt dies, ganz neu, bitte festhalten: Keine dieser sechs Wohnungen mit Prognose über 4 V/m muss gemessen werden. Das hat der Kanton verfügt. Einfach so – was früher obligatorisch war, schenkt sich der Kanton jetzt, damit er selber weniger Arbeit hat und es für Swisscom auch weniger kostet. Man geht mit gröbsten Schätzungen (ohne alle Reflexionen) bis auf 99% der gesetzlichen Limite heran und gibt sich zuversichtlich: das kommt schon nicht drüber, das brauchen wir gar nicht erst zu messen. Unwahrscheinlich… Nicht die Antenne muss sich den Spielregeln anpassen, sondern umgekehrt: die Antenne hat Priorität und wird sowieso gebaut, wenn’s eng wird, müssen halt die Spielregeln umdefiniert werden. Der Verzicht auf die Messungen ist vorgespurt im Nachtrag zur Vollzugshilfe zur NISV, 2021, p.14: «Die Behörde kann unter Berücksichtigung fachlicher Gründe und ihrer Erfahrung eine Auswahl der zu messenden OMEN treffen.» Die Kantons-Erfahrung «wir sind überlastet» wird direkt umgesetzt: «Jetzt nicht mehr messen!». Wo sind die Rechte der Bevölkerung geblieben ? Wie weiss man denn, ob die Strahlung nicht zu hoch ist, wenn gar nicht mehr gemessen wird ?

Dafür will der Kanton in der alten Mühle messen lassen – einem Gebäude, das im Standortdatenblatt exakt in der Verlängerung des nördlichen Hauptstrahles liegt, aber gar nicht gerechnet worden ist. Sehr gut, vielen Dank, unbe­dingt nötig – aber eigentlich muss dieses Haus als Omen ordentlich gerechnet werden. Die einzige behördlich verfügte Messung erfolgt dort, wo man die Abstrahlwinkel wegen fehlender Berechnung gar nicht richtig einstellen kann ? Das wird mit dem feuchten Finger im West­wind schon gelingen. Sehen und nachprüfen darf man die Messungen ja ohnehin nicht mehr, denn das Mess-Verfahren wird allen zweifelnden Blicken entzogen. Das wird überall einfacher, wo man gar nicht mehr misst. Daran stossen sich höchstens die Anwohner, der Kanton wird trotzdem gut schlafen.

Das heikle Thema zum Denkmalschutz konnte gut gelöst werden, indem die ENHK (Eidg. Natur- und Heimatschutz-Kommission) gleich von Anfang an begrüsst wird – wegen ISOS, Bundes-Inventar, der Denkmalschutz ist nicht nur kantonal. Die ENHK befindet, das gehe gut dort, die Antenne beeinträchtige die Denkmäler zwar, aber das sei gar nicht so schlimm. Und dann, obligatorisch fast, lächerlich, der unsägliche Nidle-Tupf auf die Torte: Die Antenne wirke zwar leicht störend, aber man solle alles «mit einer möglichst diskreten Farbe in das Ortsbild einpassen». Herrgott nochmals, was heisst das ? Golden in goldenen Herbsttagen ? Ein schönes Himmelblau im Frühling, eher Grau wenn’s regnet, Weiss im Winter und Schwarz in der Nacht ? Genau mit diesem unsäglichen «Argument» hat dieselbe ENHK im August 1972 schon die beiden riesigen Kühltürme des geplanten AKW Graben abgesegnet – nur schön anstreichen, dann ist’s halb so schlimm. Präsident der ENHK damals: Jakob Bächtold. Zitat Historisches Lexikon der Schweiz: «Man hat ihn … als Umweltschützer der ersten Stunde bezeichnet». So einfach geht das, bei den Antennen auch heute heute: Farbe drauf – und wir haben Umweltschutz. Bravo, bald ist Fasnacht.

Gerade rechtzeitig wiederholt sich das Spiel, damit es sich besser einprägt – gleich in der nächsten neuen Swisscom-Antenne im selben Quartier, 500 m entfernt, hier ohne Denkmalschutz. Gerechnet werden im StDBl vier OMEN, mit Werten von 4.26 V/m bis 4.95 V/m. Das gäbe vier Messungen – aber gemäss Kanton muss in keinem dieser Häuser gemessen werden. Dafür wieder in einem anderen Haus, das im StDBl gar nicht ausgewiesen wird. Das hat dann nur noch zwei Stockwerke; diejenigen Wohnungen mit den hohen Prognosen (4.86 V/m und 4.95 V/m) wären im 4. Geschoss gelegen, aber dort möchte der Kanton keine Messung haben.

Wie soll die Stadt die Bevölkerung schützen und die vom Bund geforderten Messungen verlangen – wenn sie der Kanton schon zuvor untersagt ??
Wie soll die Stadt den Denkmalschutz pflegen, wenn die oberste Denkmalbehörde des Landes schon zuvor nichts davon wissen will ? So viel Füdle haben sie nicht auf der Stadt.

Heute in der Zeitung, eine ganz fröhliche Geburt der Juristen: Das Bundesgericht hat verfügt, eine Antenne in Ostermundigen dürfe nicht ausgebaut werden, weil der Grad der Rechtswidrigkeit nicht nochmals erhöht werden dürfe. Schönes, studiertes Schlusswort unserer höchsten Richter! Illegal mag es ja sein, aber dann bitte keine Steigerung mehr – noch illegaler bitte nicht mehr. Das wird man noch oft gebrauchen können – sehr gutes Argument!
Urteil 1C_591/2021 vom 8. Okt.2022

Von Hans-U. Jakob

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