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Realitätsfernes Bundesgericht

Ein neues Bundesgerichtsurteil mit der Nummer 1C_307/2023 zum Korrekturfaktor sorgt für Aufsehen. Die Mobilfunkbetreiber hoffen auf schnellere Verfahren, vergessen dabei aber, dass sie gemäss einem anderen, weiterhin gültigen Bundesgerichtsentscheid zuerst die Strahlung in den nachträglichen Baugesuchen deklarieren müssen. Doch die Betreiber kommen ihrer Pflicht nicht nach und verzichten weiterhin auf diese Deklaration. So ist zu erwarten, dass alle nachträglich eingereichten Baugesuche für den Korrekturfaktor abgewiesen werden. Und aufgrund eines dritten Bundesgerichtsurteils sind zahlreiche Antennen sogar teilweise oder ganz abzuschalten. Der neuste Entscheid hat also vorerst keine Wirkung auf die mehrere Tausend laufenden Verfahren.

So klein sollten da Otto und Ottilia Normalbürger da gemacht werden.

Eine Medienmitteilung
des Vereins Schutz-vor-Strahlung
vom 11. Januar 2025

Nach vier Urteilen zu unseren Gunsten
entscheidet das Bundesgericht auf einmal gegen den Schutz der Bevölkerung vor übermässiger Strahlung und zugunsten der Interessen der Mobilfunkbetreiber. Im April 2024 kam es noch zur Ansicht, dass die Anwendung des Korrekturfaktors den Wegfall einer vorsorglichen Emissionsbegrenzung darstelle, in seinem neusten Entscheid vom 9. Dezember 2024 ist es plötzlich der Ansicht, dass sich das Schutzniveau auch bei Anwendung des Korrekturfaktors und damit bei viel grösseren Spitzenleistungen nicht verschlechtere. Die anderen juristischen Fragen betreffend den Korrekturfaktor wie z.B. dessen Baubewilligungspflicht sind vom Entscheid nicht tangiert.

Gründe gegen die Anwendung des Korrekturfaktors

Die realitätsfernen Ansichten des Bundesgerichts
In seiner Begründung verweist das oberste Gericht unter anderem auf eine einmalige Messung des BAKOM. Die Messung mit zwei Messgeräten und nur zwei Smartphones solle belegen, dass die adaptive Antenne die Strahlung aufteilen würde, wenn sie in zwei verschiedene Richtungen sende und dass die Strahlung gesamthaft nicht zunehmen würde. Doch wie sich die Antenne verhält, wenn fünf, zehn oder zwanzig Smartphones dazukommen, wurde nie gemessen. Und zudem senden adaptive Antennen gemäss den Aussagen der Hersteller auch bei nur einem Nutzer immer in mehrere Richtungen gleichzeitig. Damit liegt das Bundesgericht mit seiner Einschätzung aus unserer Sicht falsch.

Irrtümlicherweise hält das Bundesgericht zudem die Theorie aus dem Jahr 2018 für realistisch, dass die adaptive Antenne in weniger als 5 % der Fälle den Korrekturfaktor in Anspruch nehme. Es hat offenbar übersehen, dass sich die Mobilfunkbetreiber ständig über angeblich überlastete Netze beklagen. Wie die Erfahrungen der Vergangenheit zeigen, nutzen die Mobilfunkbetreiber alle ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten voll aus und werden mit grosser Wahrscheinlichkeit häufiger als während nur 5 % der Zeit mit maximaler Leistung senden.

Bundesgericht toleriert verschlampte Überprüfung des Qualitäts-Sicherungssystems
Fraglich ist auch die Haltung des Bundesgerichts zum Qualitätssicherungssystem. Das Sicherungssystem weist gravierende Mängel auf und kann die Einhaltung der Grenzwerte nicht immer sicherstellen. Im aktuellsten Entscheid stellt das Bundesgericht sogar fest, dass die Sendeleistungen der Antennen unbemerkt ferngesteuert manipuliert werden können. Das oberste Gericht ordnete bereits 2019 eine Überprüfung des Sicherungssystems durch das BAFU an, die auch nach über 5 (!) Jahren immer noch andauert. Doch anstatt durchzugreifen und dem BAFU Beine zu machen oder die Einhaltung der Grenzwerte auf anderem Weg sicherzustellen, will das Bundesgericht bloss die Ergebnisse der Überprüfung abwarten.

Das Vorsorgeprinzip wird mit Füssen getreten
Der Bundesgerichtsentscheid vom 9. Dezember 2024 ist aus unserer Sicht ein Fehlentscheid, der den Schutz der Bevölkerung vor übermässiger Strahlung schwächt und das Vorsorgeprinzip massiv aufweicht. Bereits heute stören sich gemäss Bundesamt für Statistik knapp ein Viertel der Bevölkerung an der Strahlung von Mobilfunkantennen und Hochspannungsleitungen. Zahlreiche Menschen fühlen sich durch die Strahlung geschwächt oder sogar in ihrer Gesundheit beeinträchtigt. Diese Beeinträchtigungen wirken sich direkt auf die Leistungsfähigkeit, die Stresstoleranz und psychische und körperliche Gesundheit von Teilen der Bevölkerung aus – und damit indirekt auch auf die Krankenkassenprämien, die Sozialversicherungen und die Volkswirtschaft. Um schädliche und lästige Gesundheitseffekte sowie Spätfolgen im Vorhinein zu verhindern, führte die Schweiz das Vorsorgeprinzip ein. Doch es ist offensichtlich, dass das Vorsorgeprinzip schon in der Vergangenheit ungenügend umgesetzt wird, wenn sich so viele Menschen an Mobilfunkstrahlung stören. Der aktuelle Bundesgerichtsentscheid sabotiert die Absichten des Umweltschutzgesetzes und des Vorsorgeprinzips weiter.

Vorerst keine Wirkung auf laufende Verfahren
Die Anzahl der Baugesuche verdoppelt sich derzeit innert wenigen Monaten auf total 6‘000. In fast allen neuen Baugesuchen beantragen die Betreiber nachträglich den Korrekturfaktor, nachdem dieser ohne Bewilligung und Wissen der Anwohnenden aufgeschaltet wurde. Damit diese Baugesuche überhaupt behandelt werden dürfen, müssen die Betreiber gemäss einem Bundesgerichtsurteil vom Oktober 2024 die konkrete Anwendung des Korrekturfaktors darlegen. Sie müssen also deklarieren, wie stark sie effektiv senden wollen und wie gross die Strahlung dadurch ist. Doch dieser Pflicht kommen die Betreiber nicht nach. Alle nachträglich eingereichten Baugesuche enthalten keine Angaben zur tatsächlichen Strahlenbelastung.
Da die Gemeinden an die Bundesgerichtsentscheide gebunden sind, müssen sie alle Baugesuche für den Korrekturfaktor ablehnen, selbst wenn keine Einsprache gemacht wird.
Ausserdem müssen alle Antennen, die derzeit über keine ordentliche Baubewilligung verfügen, abgeschaltet werden. So will es das Bundesgericht im Fall «Sarnen» und so gilt es auch für alle anderen illegal betrieben Antennen. Auch hier sind die Gemeinden in der Pflicht, die Abschaltungen durchzusetzen.

Das BAFU muss jetzt durchgreifen und für Ordnung sorgen
Die Mobilfunkbetreiber reichen derzeit bekanntlich mehrere Tausend nachträgliche Baugesuche ein. Wie wir nun feststellen müssen, haben die Betreiber in rund zwei Drittel der Fälle «vergessen» zu deklarieren, dass auch gleich noch ein Gesamtumbau der Antenne nachträglich bewilligt werden soll. Statt aus früheren Fehlern zu lernen, missachten die Betreiber weiter Bundesgerichtsentscheide und bürden den Kantonen, den Anwohnenden, den Gemeinden und sich selber immer mehr Arbeit auf. Die bisherigen Empfehlungen der BPUK und einen Teil der Empfehlungen des BAFU sind inzwischen aufgehoben worden. Es ist nun die Zeit gekommen, dass das BAFU mit rechtssicheren und unumstrittenen Empfehlungen für Ordnung sorgen und das Vorsorgeprinzip konsequent umsetzen muss. Bis dahin werden sich von Strahlung betroffene Anwohnende und der Verein Schutz vor Strahlung weiterhin mit allen Mitteln wehren. Zugleich setzen wir uns für den Ausbau des strahlungsfreien Glasfasernetzes als Alternative zu 5G ein.
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Rebekka Meier
Präsidentin Verein Schutz vor Strahlung
E-Mail: rebekka.meier@schutz-vor-strahlung.ch
Tel. 032 652 61 61
oder
Hansueli Jakob
NIS-Fachstelle von Gigaherz.ch
E-Mail prevotec@bluewin.ch
Tel 031 731 04 31

Von Hans-U. Jakob

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