Aufbruchstimmung am 5. Nationalen Elektrosmog-Kongress in Olten
Aufbruchstimmung am 5. Nationalen Elektrosmog-Kongress vom 10.Nov.07 in Olten: Die Erkenntnis über die schädlichen Folgen der elektromagnetischen Strahlung erreicht langsam auch die massgeblichen Stellen. Ende Oktober empfahl die Europ. Umweltagentur den Regierungen, die Elektrosmog-Grenzwerte zu senken. Eine Wende in der Politik zeichnet sich ab.
Ein Bericht von Christoph Pfluger, Herausgeber der Zeitschrift ZEITPUNKT, 5.12.07
Parallel zur Verbreitung von Mobilfunkantennen und schnurlos-Telefonen wächst auch die Zahl der Elektrosensiblen. Wenn der Trend anhält, wird 2017 die Hälfte der Schweizer Bevölkerung unter Elektrosmog leiden – ein Gesundheitsproblem erster Ordnung. Trotzdem herrschte am 5. Nationalen Elektrosmog-Kongress vom 10. November in Olten, organisiert von Gigaherz, eine gute Stimmung unter den rund 250 Teilnehmenden. Grund dafür war eine Empfehlung der Europäischen Umweltagentur EEA, in der sie die Regierungen der EU-Länder u.a. auffordert, die Grenzwerte für elektromagnetische Strahlung zu senken. Anlass des einmaligen Vorgangs, der möglicherweise eine Trendwende im Umgang mit Elektrosmog signalisiert, war ein 600-seitiger Bericht von 14 Wissenschaftlern aus fünf Ländern, in dem die über 2000 wissenschaftlichen Studien zum Thema ausgewertet und zusammengefasst werden. Cindy Sage, Umweltwissenschaftlerin aus Kalifornien und Projektleiterin des «BioInitiative-Reports», war denn auch der Stargast am Kongress. Ihr Fazit: «Es gibt massive wissenschaftliche Beweise für die schädliche Wirkung elektromagnetischer Felder.» Sie schwächen das Immunsystem, reduzieren die Fruchtbarkeit, führen zu Zellveränderungen, begünstigen Krankheiten wie Krebs oder Alzheimer, von den Einflüssen auf Schlaf, Stress, Leistung oder Reaktionszeit ganz zu schweigen.
Massive Senkung der Grenzwerte ist angezeigt
Für Cindy Sage ist es unbegreiflich, dass Geräte und Einrichtungen mit elektromagnetischer Strahlung keiner Gesundheitsprüfung unterzogen werden, während gleichzeitig elektromagnetische Felder (von geprüften Geräten) unter streng definierten Bedingungen therapeutisch eingesetzt werden. Handys und Mobilfunkantennen seien wie «verschmutzte Medikamente, ohne Rezept, in unbekannter Dosis und mit vielfältigen Nebenwirkungen.»
Gemäss Cindy Sage muss in Betracht gezogen werden, dass die «Mobilfunktechnologie nicht mit dem menschlichen Genom kompatibel» ist. Immerhin sind Organismen hochkomplexe bioelektrische Systeme, die sich über hochfeine elektrische Signale und kleinste Potenzialunterschiede steuern, die offenbar auch auf minimale Störungen reagieren. Der BioInitiative-Report fordert denn auch eine massive Senkung der Grenzwerte, die heute immer auf dem von der Industrie definierten so genannten ICNIRP-Standard liegen. Diese Grenzwerte wurden festgelegt, um eine Erwärmung des Gewebes zu verhindern – als ob ein Handymast erst dann schädigt, wenn die Anwohner unter erhöhter Temperatur leiden.
Umstritten: Mobilfunkindustrie sponsert Ärzte für Umweltschutz
Elektrosmog-bedingte Leiden nehmen wie erwähnt rasch zu. Es ist deshalb erfreulich, dass sich die Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz (ÄFU) des Themas annehmen und 2008 ein «Beratungsnetz Umweltmedizin» ins Leben rufen. Weil es vielen Ärzten auf diesem Gebiet noch an Fachkompetenz mangelt, wird eine zentrale telefonische Anlaufstelle eingerichtet, die die Patienten an eine geeignete Praxis weiter leitet. Dort wird mit mehreren Konsultationen, Fragebogen, Aktenstudium, Ortsbegehung (zu Lasten der Patienten) und einer Case Conference ein Dossier erstellt, das dann wissenschaftlich ausgewertet wird. Dazu musste sich die neu gewählte grüne Nationalrätin Yvonne Gilli, die das Konzept am Kongress vorstellte, einigen kritischen Fragen stellen. Gigaherz ist es ein Dorn im Auge, dass ausgerechnet die von der Mobilfunkindustrie finanzierte «Forschungsstiftung Mobilkommunikation« die wissenschaftliche Auswertung teilweise finanziert und auch dafür verantwortlich sein soll. Gemäss einer Studie des Instituts für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Bern vom September 2006 stellen nämlich von der Industrie finanzierte Untersuchungen zehnmal weniger häufig Gesundheitsschäden durch Mobilfunk fest als solche mit unabhängiger Finanzierung. Dem entgegnete Yvonne Gilli, die ÄFU sei nicht grundsätzlich gegen Sponsoring, würden sich aber «keinen Maulkorb aufbinden» lassen. Zudem sei die ärztliche Unabhängigkeit garantiert. Darum geht es freilich nicht. Gigaherz befürchtet vielmehr, dass die Studie so angelegt wird, einen Zusammenhang zwischen Elektrosensibilität und psychischen Störungen herzustellen. Das dürfte mit statistischen Methoden auch nicht schwierig sein, denn einerseits nehmen psychische Störungen in der Gesellschaft generell stark zu und andererseits leiden viele Patienten mit ungeklärten Krankheitsursachen an psychischen Problemen – sie zweifeln an ihrer Wahrnehmung und verstehen buchstäblich die Welt nicht mehr. Die ÄFU ist also gut beraten, mit dem Kriterium der «psychischen Störung», das sie gemäss Yvonne Gilli im Rahmen des Projekts ausdrücklich erheben will, vorsichtig umzugehen und die Daten nicht an die «Forschungsstiftung Mobilkommunikation» weiterzugeben.
Feldversuch: «Alarmglocken läuten»
Forschung im Bereich der Mobilkommunikation ist nach wie vor ein problematisches Feld. Zum einen werden viele Studien von der Mobilfunkindustrie finanziert – mit den erwähnten Konsequenzen. Zum anderen finden viele Untersuchungen in Labors unter künstlichen Bedingungen statt. Einen anderen Weg ging der Pathologe Prof. Gerhard Hacker von der Universität Salzburg. Sein Team setzte Probanden für mehrere Stunden in einen Raum eines Hauses, an dem eine so genannte Mikrozelle, eine vergleichsweise schwach strahlende Mobilfunkantenne, angebracht war – eine Situation, mit der Abertausende von Menschen konfrontiert sind. Resultat: Signifikante Veränderung bei den Stressmarkern alpha-Amylase und Cortisol und einigen andern Parametern. Bei einer Probandin ergab sich sogar ein Anstieg der Cortisol-Konzentration im Speichel um 400%. Hackers Kommentar: «Wenn so etwas passiert, läuten die Alarmglocken auf der Intensivstation.» Für ihn sind die biologischen Wirkungen der elektromagnetischen Felder Tatsache, alles andere sei Suggestion von Interessenvertretern.
Baumschäden zeigen, woher Sender strahlen
Die Forschung krankt aber auch daran, dass die chronischen Schäden durch Mobilfunk nur mit grossem Aufwand zu ermitteln sind. Der Mensch bewegt sich dauernd, ist ständig wechselnden Feldern ausgesetzt, tauscht sein Handy gegen ein neues – das sind einige unter vielen Faktoren, die statistisch schwer in den Griff zu bekommen sind. Das ist bei Bäumen anders: Sie sind ortsfest und absorbieren immer die gleichen Felder. Zudem können sie nicht unter Einbildung leiden. Die Strahlung macht die Bäume aber auch krank, wie der Physiker und Ingenieur Volker Schorpp aus Karlsruhe am Kongress eindrücklich darlegte. Er hat mittlerweile hunderte von Bäumen im Verlauf der Jahreszeiten fotografiert, ihre Position im Verhältnis zu den umliegenden Antennen festgehalten und kommt zum Schluss, dass die Schädigung der Bäume durch hochfrequente Funkstrahlung zweifelsfrei erwiesen ist. Besonders aufschlussreich sind die senderseitigen Schädigungen und die Analyse der Baumschäden im Siedlungsraum, wo die Strahlung auf unterschiedlichste Art abgeschattet, gebeugt oder reflektiert wird. So kommt es vor, dass nur die Kronen über den Dachgiebeln oder einzelne Äste krank sind, die zwischen zwei Häusern angestrahlt werden. Entscheidend dabei ist nicht die Feldstärke, von der die Wissenschaft nach wie vor ausgeht, sondern eine ganze Reihe von Faktoren wie Pulsung, Wellenlänge und verschiedene Effekte, die sich aus der Überlagerung von Strahlung aus verschiedenen Quellen ergeben. Das UMTS-Signal zum Beispiel ist gekennzeichnet durch «Phasensprünge», wie wenn «ein DJ ständig an den Plattenteller stösst», da sei Tanzen unmöglich. Schorpp erklärte, dass die Hochfrequenzfelder räumlich inhomogen sind und sich ähnlich wie Herbstlaub im Wind an gewissen Stellen verwirbeln und an anderen anhäufen. Ohne direkten Sichtkontakt zu einem Sender zu leben, bedeutet also noch keinen Schutz.
Wie reagieren die Behörden auf Schorpps Erkenntnisse? «Bilder beweisen nichts», sagt zum Beispiel das deutsche Bundesamt für Strahlenschutz. Wenn dem so wäre, müsste der Astronomie der Status der Wissenschaftlichkeit aberkannt werden. Tatsächlich gewinnt die Wissenschaft ihre Erkenntnisse heute mehr durch Statistik als durch direkte Beobachtung und die Analyse von Indizien. Deshalb hat Schorpp jetzt einen Fotowettbewerb ausgeschrieben, bei dem es darum geht, geschädigte Bäume im Jahresverlauf zu fotografieren und ihre Lage zu den umliegenden Sendeanlagen festzuhalten.
Viel Elektrosmog ist selbst gemacht
Ein grosser Teil des Elektrosmogs ist durch die gedankenlose Verwendung von strahlenden Geräten allerdings selbstgemacht, wie der Messtechniker Peter Schlegel in seinem Referat zeigte. Volksseuche Nummer eins seien dabei die Schnurlos-Telefone nach dem DECT-Standard, die heute mit Abstand meistverkauften Geräte. Aber es gibt neue Gefahren: W-LAN, die drahtlosen Computer-Netzwerke, sind besonders schädlich, weil sie ausgerechnet mit 10 Hertz, der Schwingung der Alpha-Gehirnwellen getaktet sind. Nicht besser sei die so genannte «Powerline», die Internet-Verbindung über das Stromnetz. Sie verwandelt nämlich die Stromleitungen in Antennen, die in die ganze Wohnung abstrahle. Sehr ausführlich befasste sich Peter Schlegel mit der Energiesparlampe, «ein kleiner Langwellensender», wie jeder mit einem Radioempfänger selber feststellen könne. Die Unbedenklichkeitserklärung für Energiesparlampen, die das Bundesamt für Gesundheitswesen publizierte, sei falsch. Die Lampen seien zwar mit der strengen TCO-Norm verglichen, aber nicht mit dem dafür vorgeschriebenen Messgerät gemessen worden. Bei korrekter Messung wird der zulässige Grenzwert erst in einem vom Lampentyp abhängigen Abstand von 0,97 bis 1,47 Metern erreicht. Für Peter Schlegel ist klar: «Das Glühlampenverbot muss unter allen Umständen verhindert werden.»
Gigaherz jetzt mit Verbandsbeschwerderecht
Wie stark sich Gigaherz in dieser Frage engagieren wird, ist noch offen. Für den Verein, der rund 500 Elektrosmog-Gruppen vertritt, steht zunächst die Verhinderung des Handy-TV im Vordergrund. Das dafür notwendige Signal (DVBH) ist nämlich rund fünfmal stärker als die Mobilfunkstrahlung. Gigaherz will die Einführung dieser Technologie verhindern und dabei nötigenfalls bis vor Bundesgericht gehen. «An der Euro 08 wird man die Spiele mit Sicherheit nur über die konventionellen Kanäle verfolgen können», ist Hans U. Jakob überzeugt. Die Entwicklung der letzten Monate macht ihn zuversichtlich: Im Juni entschied das Verwaltungsgericht des Kantons Bern auf Betreiben von Gigaherz, dass ein Versuch der Swisscom mit Wimax im Simmental abgebrochen werden musste. Wimax ermöglicht den drahtlosen Internetzugang über eine Distanz von 50 km. Die Swisscom verzichtete darauf, das Verfahren vor die nächsthöhere Instanz zu bringen und hat inzwischen die Anlage abgebaut, «um Nachmessungen zu verhindern», wie Hans U. Jakob vermutet.
Im Rahmen desselben Verfahrens sprach das bernische Verwaltungsgericht Gigaherz auch das Verbandsbeschwerderecht zu, ein grosser Erfolg für die Elektrosmog-Betroffenen, die von keiner Umweltorganisation vertreten werden. Einige Umweltorganisationen werden von der Mobilfunk-Industrie sogar mit sechsstelligen Beträgen gesponsert. Kein Wunder, ist deren Widerstand gegen den Elektrosmog, der im übrigen auch Tiere und Pflanzen schädigt, so schwach! Einen weiteren Erfolg errang Gigaherz mit der Anerkennung der Gemeinnützigkeit im vergangenen Sommer. Der Verein ist damit gut gerüstet, eine wichtige Rolle in der anstehenden Auseinandersetzung um den weiteren Ausbau des Mobilfunks zu spielen. Von den Medien wird er allerdings kaum wahrgenommen. Dies hat nicht nur mit deren Abhängigkeit von den Werbeeinnahmen der Telefongesellschaften zu tun, sondern auch mit dem hemdsärmligen Kommunikationsstil von Gigaherz und der unzimperlichen Ausdrucksweise, wenn es um die Verfilzung von Mobilfunkindustrie, Behörden und Wissenschaft geht. Da fallen Begriffe, die niemand gerne zitiert, nicht einmal der Zeitpunkt, der sonst kein Blatt vor den Mund nimmt.
Immerhin: Einen wirkungsvolleren Vertreter als Gigaherz haben die vom Elektrosmog Betroffenen derzeit nicht und vielleicht tritt der Verein mit der neu gewonnenen Stärke in Zukunft so auf, dass er auch gehört wird und als Gesprächspartner akzeptiert wird. Das nützt der Sache mehr, als wenn die Vertreter von Mobilfunk und Behörden öffentlich in die Ecke gestellt werden, wohin sie zwar vielleicht gehören, was aber kontraproduktive Gegenmassnahmen provoziert. Der Verein Gigaherz kann nur gewinnen, wenn er den Dialog sucht und dazu eine politisch korrekte Sprache spricht. Die Argumente liegen auf seiner Seite – Zeit, die Mobilfunkindustrie herausfordern.
Christoph Pfluger
Der Autor ist Herausgeber der Zeitschrift Zeitpunkt, die sich regelmässig kritisch mit Elektrosmog befasst. www.zeitpunkt.ch
Bilder vom Kongress siehe unter /der-5-nationale-kongress-von-gigaherz/
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