News

Beschwerde zur Aufrüstung der Höchstspannungsleitung Chippis-Bickigen

Geltendes Recht wir nicht eingehalten – Swissgrid im Verein mit den Bundesämtern contra Bundesgericht.

Von Hans-U, Jakob (Gigaherz.ch)
Schwarzenburg, 3.Juli 2017

Anfangs Juni dieses Jahres wurde den 353 Einsprechenden gegen die Aufrüstung der 106km langen Höchstspannungsleitung von Chippis (VS) nach Bickigen (BE) von 220’000 auf 380’000Volt, mitgeteilt, dass sämtliche Einsprachen abgewiesen worden seien und dass dagegen bis zum 14.Juli 2017 beim Bundesamt für Energie in 3003 Bern Beschwerde geführt werden dürfe.

Aus den uns zugestellten Dokumenten geht nicht hervor, wer den ca. 50-seitigen Überweisungsbericht erstellt, und die 353 Einsprachen abgewiesen hat. Sollte dies von Swissgrid als Eigentümerin der Leitung und zugleich auch noch Bauherrschaft bewerkstelligt worden sein, wäre das Ganze aus unserer Sicht sowieso ungültig und höchst skandalös.
Auf dem Bericht finden sich keinerlei Hinweise auf den Ersteller. Ausser auf dem Titelblatt, welches den Briefkopf und 2 Unterschriften von Swissgrid aufweist. Die weiteren 50 Seiten sind unbekannten Ursprungs und nicht unterzeichnet.
Projekt und Einsprachen hätten erstinstanzlich vom Eidg. Starkstrominspektorat (EStI) überprüft und behandelt werden müssen.  Swissgrid kann unmöglich Beklagte und Richterin zugleich sein! Wir verlangen hier als Erstes eine saubere Abklärung.

Alles zur Vorgeschichte finden Sie hier: https://www.gigaherz.ch/neues-von-der-hoechstspannungsleitung-chippis-bickigen/

Da Gigaherz nicht zu allen 353 Einsprechenden Kontakt hat, stellen wir ab hier, zusätzlich zu unserem bereits erfolgten e-mail Versand, noch einige Textblöcke zur freien Verwendung ins Internet. Achtung die Zeit wird knapp! Fristverlängerung gibt es keine.

Zum Legitimationsperimeter
Die Forderung nach der Ausdehnung des Legitimationsperimeters auf 0.1 Mikrotesla entbehrt nicht jeglicher Grundlage wie Swissgrid und Co. dies lauthals behaupten, sondern beruht auf der bundesgerichtlichen Rechtsprechung im Hochfrequenzbereich. Hier wurde dieser auf 10% des Anlagegrenzwertes, in der Regel auf 0.5V/m festgelegt. Es darf nicht zweierlei Recht geben in der Schweiz. Deshalb sind diese 10% des Anlage-Grenzwertes auch im Niederfrequenzbereich sehr wohl durchsetzbar. Im Niederfrequenzbereich sind das dann 10% von 1 Mikrotesla = 0.1 Mikrotesla oder 100Nanotesla.
Ebenso unhaltbar ist die Behauptung, dass der Legitimationsperimeter kein Bereich einer Gefährdung darstelle. Im Niederfrequenzbereich ist die Datenlage weitaus besser als im Hochfrequenzbereich.
Es gibt unzählige wissenschaftliche Studien, welche Krebspromotion, Krebsentstehung namentlich Leukämie bei Kindern ab 0.3Mikrotesla mit dem 3 bis 4-Fachen Risiko gegenüber der Allgemeinbevölkerung beurteilen. Siehe https://www.gigaherz.ch/hochspannungsleitungen-und-krebs-1659/

Die internationale Krebsagentur IARC der WHO erklärte bereits im Jahr 2002 niederfrequente-Magnetfelder ab 0.4Mikrotesla und höher als möglicherweise kanzerogen. Das heisst, Stufe 2B. Siehe: IARC MONOGRAPHS ON THE EVALUATION OF CANCEROGENIC RISK TO HUMANS, Volume 80, Seite 133 von 429. Auf Stufe 2B steht auch das seit Jahren in der Schweiz verbotene Schädlingsbekämpfungsmittel DDT.

Die BioInitiative Working Group, ein Zusammenschluss von 14 international anerkannten Wissenschaftlern schreibt in ihrem Report  vom August 2007: «Es gibt kaum Zweifel daran, dass die Exposition gegenüber niederfrequenten elektromagnetischen Feldern, Kinderleukämie verursacht.» Die Rede ist von Intensitäten ab 200-300Nanotesla (0.2-0.3Mikrotesla)
Der Report in Deutscher Sprache ist abrufbar unter:
https://www.gigaherz.ch/media/PDF_1/bioinitiative-zusfass.pdf

Zu den Strom-Transportmöglichkeiten ins Mittelland
Es ist den Einsprechenden klar, dass es dazu nebst der Gemmileitung noch eine weitere Leitung über den Sanetschpass-Jaun-Schwarzsee-Mühleberg gibt. Diese Leitung weist weniger als die Hälfte der Transportkapazität der Gemmileitung auf. Diese Leitung ist zudem im Sanetschgebiet wegen extremen Witterungseinflüssen bekannterweise hoch störungsanfällig.
Dass die gemäss dem vorliegenden Projekt sanierte Gemmileitung mit einem Phasenstrom von 1500Ampère (bei 380kV) zu schwach ist, das heisst den Ausfall der Sanetschleitung nicht verkraften kann, liegt bereits heute auf der Hand. Dazu müsste auf der Gemmileitung bei 380kV ein Phasenstrom von 3000Ampère vorgesehen werden.

Zum fragwürdigen Projekt
Eine Reduktion des Phasenstromes von heute möglichen 2000Ampère auf neue 1500Ampère dank 380kV, ist gemäss obigen Ausführungen völlig unrealistisch.
Wie recht wir mit dieser Befürchtung haben, geht aus der klaren Stellungnahme von Swissgrid in diesem Überweisungsbericht  hervor.
Zitat: «Dies gilt auch für die Begrenzung des massgebenden Stroms auf 1500A, weshalb Swissgrid sich vorbehält, den entsprechenden Antrag zurückzuziehen. Wegen der technischen Auslegung der übrigen Netzelemente kann aber davon ausgegangen werden, dass beim zukünftigen Betrieb der Leitung kaum Ströme über 1500A fliessen werden.» Ende Zitat.
Der zweite Satz im Zitat werten wir als Unfug. Würden sich die weiteren Netzelemente nicht für Ströme über 1500A eignen, könnte Swissgrid den Antrag auf die Begrenzung mit 1500A gar nicht zurückziehen.

FAZIT: Die Begrenzung des Stromes auf 1500Ampère in den Projektunterlagen war von Beginn eine bewusste Irreführung, um den Anwohnern vorzutäuschen dass dadurch die Magnetfelder erheblich reduziert würden.

Geltendes Recht
Für Leitungen die vor dem Jahr 2000 erstellt wurden, gilt eine sogenannte Besitzstandgarantie. Werden solche Leitungen jedoch massiv geändert, gilt auch hier 1 Mikrotesla. Denn das Bundesgericht hat mit Urteil 1C 172/2011 vom 15. November 2011 das blosse Gebot in Art.9 lit. a NISV, dass mit einer Änderung lediglich keine Verschlimmerung herbeigeführt werden dürfe, aufgehoben. Das Bundesgericht hat bestimmt:

Zitat: E3.7.1 …….Die Regelung dürfe nicht dazu führen, dass bestehende Hochspannungsleitungen über Jahrzehnte hinweg weiterbetrieben und sogar modifiziert werden könnten, ohne dass je auch nur geprüft werde, ob es weitere wirtschaftlich zumutbare Massnahmen zur vorsorglichen Emissionsbegrenzung gebe. Das Bundesgericht deutete an, dass die in Ziff. 16 Anh. 1 NISV enthaltene Privilegierung von Altanlagen möglicherweise zeitlich befristet werden müsste. Jedenfalls aber sei eine weitergehende Prüfung emissionsbegrenzender Massnahmen bei einer wesentlichen Änderung der Anlage gemäss Art. 18 USG geboten (E. 4.6).

Dies hat zur Folge, dass sich die Genehmigungsbehörde jedenfalls bei einer wesentlichen Änderung der Anlage nicht mit dem Verschlechterungsverbot gemäss Art. 9 Abs. 1 lit. a NISV und der Optimierung der Phasenbelegung (Ziff. 16 Anh. 1 NISV) begnügen darf.

Und ein weiteres Zitat:

E3.8 Grundsätzlich ist deshalb schon heute die Einhaltung des Anlagegrenzwerts an allen OMEN auf der geänderten Strecke zu verlangen. Allerdings können Erleichterungen erteilt werden. Dies setzt jedoch voraus (entsprechend Ziff. 15 Abs. 2 Anh. 1 NISV), dass nicht nur die Phasenbelegung optimiert worden ist (lit. a), sondern dass auch alle anderen Massnahmen zur Begrenzung der Strahlung, wie ein anderer Standort, eine andere Leiteranordnung die Verkabelung oder Abschirmungen, die technisch und betrieblich möglich und wirtschaftlich tragbar sind, getroffen worden sind (lit. b). Ende Zitat:

Geltendes Recht wir nicht eingehalten – Swissgrid im Verein mit Bundesämtern contra Bundesgericht

Um die bundesgerichtliche Rechtsprechung auszuhebeln hat der Bundesrat am 1.Juli 2016 ganz speziell im Hinblick auf die Leitung Chippis-Bickigen folgende Änderung in die Verordnung über Nichtionisierende Strahlung NISV aufgenommen.
Anhang 1, Ziffer 12, Absatz 7:
Als Änderung einer Anlage gelten:
a. bauliche Anpassungen, bei denen der Bodenabstand von Phasenleitern einer Freileitung oder die Verlegetiefe von Phasenleitern einer erdverlegten Kabelleitung verkleinert wird;
b. bauliche Anpassungen, bei denen der Abstand zwischen den Phasenleitern gleicher Frequenz einer Leitung vergrössert wird;

Beide Texte unter Buchstabe a und b treffen auf die Leitung Chippis-Bickigen nicht zu. Was jetzt Swissgrid und die Bundesämter veranlasst, die Sanierung Chippis-Bickigen nicht als Änderung einer bestehenden  Anlage, sondern als normaler Unterhalt gelten zu lassen. Obschon hier zahlreiche Masten bis zu 6m erhöht werden, und auf zahlreichen Leitungsabschnitten die Seilquerschnitte (in Doppelverseilung) von 600 auf 800 oder sogar auf 1000mm2 erhöht werden, zahlreiche Isolatoren von Trag- auf Abspannketten gewechselt werden und etliche der Mastfundamente verstärkt werden müssen.

In der Vernehmlassung zur Änderung der NISV, die von Ende 2014 bis Anfang 2015 stattfand, lautet  dieser Text noch ganz anders und viel einleuchtender. Nämlich, Zitat:
Als Aenderung einer alten Anlage gelten:
a) bauliche Anpassungen, die nicht der Instandhaltung dienen.

Wer diese perfide nachträgliche Textänderung verbrochen hat, ist uns zur Zeit noch unbekannt. Jedenfalls stellt diese eine Hinterlistigkeit dar, die kaum mehr zu überbieten ist. Ob sich das Bundesgericht eine solche Trickserei gefallen lassen wird, darf bezweifelt werden.

Es ist schon empörend mit welcher Hinterlistigkeit Swissgrid im Verein mit den Bundesämtern versucht, die Anwohner von Hochspannungsleitungen um ihre in jahrelangen Rechtshändeln erstrittenen Erfolge zu bringen.

Gesundheitliche Auswirkungen
In Anbetracht der gesundheitlichen Auswirkungen, die wir im Kapitel Legitimationsperimeter ausführlich beschrieben haben, müssen wir auf der gesamten Strecke von 106 km auf der Einhaltung des 1-Mikrotesla Grenzwertes an Orten empfindlicher Nutzung beharren. Selbst dann, wenn dies nur mit einer Verschiebung der Leitung oder besser mit einer Erdverkabelung möglich ist. Es geht hier um Menschenleben, vor allem um das Leben von Kindern.
Um diesen 1-Mikrotesla Grenzwert nicht einhalten zu müssen, wurden auch noch Anhang 1 Ziffer 17, Absatz 3 der NISV dahingehend geändert, dass die Verschiebung oder Erdverlegung von Hochspannungsleitungen der Ebene 220kV und höher so gut wie verboten werden.
Die in dieser Stellungnahme beschriebenen Textänderungen der NISV stellen aus unserer Sicht einen Polit- und Justizskandal dar, wie ihn dieses Land noch nie gesehen hat.

Von Hans-U. Jakob

Kommentare sind ausgeschaltet