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Der Korrekturfaktor – Ein Bernischer Schwanzbeisser

Im Kanton Bern wurden in 127 Gemeinden insgesamt 380 Mobilfunk-Sendeanlagen ohne offizielle Baubewilligung, das heisst im sogenannten Bagatellverfahren, nachträglich mit einem Korrekturfaktor versehen.  Was heissen will, dass die bereits installierten adaptiven 5G-Sendeantennen von einem Tag zum andern plötzlich, je nach Antennentyp, 2.5 bis 10mal stärker strahlen dürfen, ohne dass die Anwohnerschaft dazu etwas zu sagen hat.

Von Hans-U. Jakob (Gigaherz.ch)
Schwarzenburg, 26.März 2024

Dieser unsägliche Korrekturfaktor wurde vom Bundesrat am 17. Dezember 2021 husch-husch in die Verordnung über nichtionisierende Strahlung (Anhang 1, Ziffer 63) hineinkomponiert, nachdem feststand, dass mit den in den Baugesuchen viel zu tief deklarierten Sendeleistungen, adaptive 5G-Sendeantennen gar nie zum Laufen gebracht werden können.
Ein Beispiel: Eine im Baugesuch deklarierte Sendeleistung einer adaptiven 5G-Sendeantenne von 500Watt ERP, darf jetzt plötzlich, dank einem Korrekturfaktor von beispielsweise 8, kurzzeitig 4000Watt ERP betragen, ohne dass betroffene Anwohner dazu gefragt werden müssen. Da geht dann die Post ganz schön ab. Kurzzeitig heisst, nur so lange, dass an den Orten empfindlicher Nutzung der über 6 Minuten gemittelte Strahlungswert den amtlichen Grenzwert von 5V/m nicht übersteigt.
Somit dürfte ein Raser innerorts während 30 Sekunden 250 auf dem Tacho haben, wenn er die restlichen 5Minuten und 30 Sekunden knapp unter 35 bleibt, nur um den 6-Minuten Mittelwert nicht zu überschreiten.

Auf die Wahrscheinlichkeit hingewiesen, dass nachträglich auf die falsch deklarierte Sendeleistung von lediglich 100Watt ERP später ein Korrekturfaktor im Bagatellverfahren gewährt würde, antwortete das Bundesgericht, dass dies nur mittels eines neuen Baugesuchs möglich wäre. An der Auffassung der Vorinstanz, welche auch dieser Meinung war, gebe es nichts auszusetzen. Urteil 1C_100/2021 vom 14. Februar 2023.
https://www.gigaherz.ch/5g-das-grosse-juristengeschwurbel-rund-um-den-korrekturfaktor/

Klare Ansage auf klare Vorwürfe.
Nicht aber für das Amt für Umwelt des Kantons Bern, resp. dessen Fachstelle Immissionsschutz. Und schon gar nicht für den verantwortlichen Regierungsrat Christoph Neuhaus. Während des ganzen Jahres 2023 wurden hunderte von Bagatellbewilligungen zwecks nachträglicher Gewährung des Korrekturfaktors ausgestellt.

Das ging so lange gut, bis Daniel Laubscher, ein besorgter Bürger aus Büren an der Aare, dem Treiben auf die Schliche kam, als an seinem Wohnort, die adaptive 5G-Sendeleistung mittels Gewährung des Korrekturfaktors heimlich hochgefahren wurde.
Laubscher wehrte sich bis vor das Bernische Verwaltungsgericht. Dieses entschied: Baurechtlich wäre die Anwendung des Bagatellverfahrens schon zulässig, wenn die ausgetauschten Antennenkörper einigermassen gleich aussehen würden wie die bisherigen und sich am genau gleichen Ort am Sendemast befänden.
Aber umweltrechtlich gehe das gar nicht. Zitat aus E5.7: Namentlich unterscheiden sich die umweltrechtlich relevanten Immissionen bei der Anwendung des Korrekturfaktors von denjenigen bei der Anwendung der «worst-case» Beurteilung. Dem angefochtenen Entscheid liegt demnach ein aus heutiger Sicht unrichtiger Sachverhalt zu Grunde. Ende Zitat.

Zur Klärung: Mit «worst-case» ist gemäss Wortlaut des Urteils die bisherige Beurteilung gemeint und mit umweltrechtlichen Immissionen, die zeitweise höhere Strahlenbelastung der Anwohnenden einer adaptiven 5G-Mobilfunk-Sendeanlage.
Das Verwaltungsgericht meinte ferner, es sei nicht Sache des Verwaltungsgerichts, als letzte kantonale Instanz die Frage des Korrekturfaktors erstmals zu beantworten. Dazu sei das Verwaltungsgericht funktionell nicht berufen, gelte es doch die prozessuale Konstellation erstmals zu beurteilen. Zitat aus E5.8.
Deshalb werde die Sache jetzt an den Bernischen Regierungsrat zurückgewiesen, mit dem Auftrag, klare Regeln zu schaffen die auch umweltrechtlich zutreffen müssen.

Klare Folgen, sollte man erwarten können.
Das Bernische Verwaltungsgericht sagt, dem angefochtenen Entscheid (Gewährung des Korrekturfaktors mittels Bagatellbewilligung) liege demnach ein aus heutiger Sicht unrichtiger Sachverhalt zu Grunde. Der Regierungsrat möge deshalb klare Regeln schaffen, die auch umweltrechtlich zutreffen würden.
Und was macht der Bernische Regierungsrat?
Ausser die Gemeinde Büren anzuweisen, für eine offizielle Baupublikation betreffend des Korrekturfaktors besorgt zu sein, auf gut bernische Art vorerst einmal gar nichts. Und von klaren Regeln schaffen noch ein Bisschen weniger. Denn auf dem Aktendeckel steht Mobilfunk und damit ist die Sache heilig oder zumindest tabu. Im übrigen Kantonsgebiet wurde unterdessen mit Bagatellbewilligungen weitergefuhrwerkt, als ob nichts geschehen wäre.

Der Kragen geplatzt ist nicht nur Daniel Laubscher sondern auch noch den Vereinen WIR und Gigaherz.ch.
Am 20. Februar 2024 erhielten 127 Bernischen Gemeindeverwaltungen von diesen Post in Form einer baurechtlichen Anzeige gegen den oder die fehlbaren Mobilfunkbetreiber wegen Bau und Betrieb von Mobilfunk-Sendeanlagen ohne offizielle Baubewilligung. Mit der Aufforderung als verantwortliche örtliche Baupolizeibehörde für die Wiederherstellung des rechtmässigen Zustandes, sprich Stilllegung der adaptiven 5G-Sendeantennen zu sorgen.

Das Schlupfloch für die Mobilfunkbetreiber gefunden zu haben, glaubt der Geschäftsführer des Bernischen Gemeindeverbandes, Herr Dr. jur Wichtermann. Wichtermann empfiehlt den betroffenen Gemeinden, mittels eines von ihm vorgefertigten Textes, welchen sie in ihren Antworten an die Anzeigenden nur kopieren und einfügen müssen, das baupolizeiliche Verfahren zu sistieren.
Begründung: Gegen den Entscheid des Bernischen Regierungsrates (Bau- und Verkehrsdirektion), die Anlage Büren zurückzubauen, habe der Betreiber Sunrise ja Beschwerde beim Verwaltungsgericht eingereicht und somit sei die Sache noch gar nicht entschieden.


Der perfekte Schwanzbeisser
Sunrise erhebt Beschwerde gegen eine Verfügung des Bernischen Regierungsrates. Einer Verfügung welche der Regierungsrat auf Grund eines Urteils des Bernischen Verwaltungsgerichts treffen musste. Und wo erhebt Sunrise diese Beschwerde? Zwecks Einhaltung des Instanzenweges natürlich beim Bernischen Verwaltungsgericht. Ein perfekter Schwanzbeisser.

Von Dr. Wichtermanns Schreiben Gebrauch gemacht haben unterdessen 60 von den 127 betroffenen Bernischen Gemeinden. (Stand per 27. März 2024) Die übrigen 67 wissen offensichtlich noch nicht so recht, wie sie mit der Aufforderung zum Ungehorsam gegen ergangene Gerichtsurteile umgehen sollen. Und auch nicht was von der baupolizeilichen Anzeige zu halten sei. Denn die Sache mit diesem unsäglichen Korrekturfaktor erfordert Einiges an funktechnischem Fachwissen. Und solches fehlt nicht nur auf Bernischen, sondern auf sämtlichen Schweizerischen Gemeindeverwaltungen.
In der Schweiz sollen also Gemeindeverwaltungen über etwas entscheiden, wovon sie gelinde gesagt, keine Ahnung haben. kein Wunder, wenn sie sich mit Freude und Dankbarkeit nach dem von Dr. Wichtermann zugeworfenen Rettungsring greifen. Ob dieser allerdings tragfähig genug ist, darf bezweifelt werden.

3 Gemeindeverwaltungen gehen noch einen Schritt weiter als Wichtermann und drohen den Anzeigenden mit hohen Kosten für ausgestellte Verfügungen. Das ist natürlich Mumpitz. Die Anzeigenden haben keine anfechtbare Verfügung verlangt, sondern die Gemeindeverwaltung lediglich darauf aufmerksam gemacht, dass in ihrer Gemeinde ohne entsprechende Baubewilligung gebaut wurde.
Ein Gemeindepräsident (Burgistein) verbietet seinen Angestellten sogar explizit jegliche Korrespondenz mit den Anzeigenden und droht den Anzeigenden seinerseits mit der Staatsanwaltschaft. Was er dort vorbringen will, lässt er allerdings noch offen. Sachen gibt’s!
Fortsetzung folgt.

Von Hans-U. Jakob

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