Sackgasse 13, F-67075 Strasbourg
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Gesundheitsrisiko Mobilfunk: Die ersten 2 Entscheidungen des EGMR
Bereits am 17.Januar 06 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden, dass es durchaus im Ermessen der Regierungen liege, wenn diese ein vollständig ausgebautes, tadellos funktionierendes Mobiltelefonnetz der Volksgesundheit vorziehe. Auf eine persönliche Anhörung von betroffenen elektrosensiblen Personen wurde grosszügig verzichtet. Auch fühlte sich die Kammer trotz völlig fehlender medizinischer und technischer Kenntnisse in der Lage, die Fälle ohne Beizug von Fachleuten zu lösen. Allerdings auf eine (gelinde gesagt) sehr eigentümliche Art.
Dr. Eduard Christian Schöpfer vom Oesterreichischen Institut für Menschenrechte in Salzburg 1) hat dazu folgenden Kommentar verfasst.
Salzburg Juni 06
In der aktuellen Ausgabe des ,,Newsletter Menschenrechte“ (Herausgeber ist das Österreichische Institut für Menschenrechte in Salzburg) findet sich die nunmehr
erste Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR)
zum Thema behauptete Gesundheitsgefährdung durch Handymasten.
Der EGMR hat die Beschwerde mehrheitlich für unzulässig erklärt und damit seine restriktive Rechtsprechung in Fragen der Umwelt und Gesundheit fortgeführt.
Eine Schweizerin hatte bei den Gerichten erfolglos Beschwerde gegen den
Ausbau einer Mobilfunkanlage erhoben. Vor dem EGMR machte sie Verletzungen
ihres Rechts auf ein faires Verfahren, auf Leben und auf körperliche Unversehrtheit
geltend.
Zur Nichtabhaltung einer öffentlichen Verhandlung stellte der EGMR fest,
dass angesichts der Beurteilung hochtechnischer Fragen es nicht erwiesen sei, dass
ein ,,Hören der Sache“ in Anwesenheit der Beschwerdeführerin und von Zeugen und
Experten die Meinungsbildung der Gerichte in entscheidender Weise hätte beeinflussen
können. Zur Behauptung von Frau L, das Mobilfunkantennenprojekt
sei geeignet, sie in ihrer Eigenschaft als elektrosensible Person in ihrer Gesundheit
zu beeinträchtigen, meinte der EGMR, dass eine Gesundheitsbeeinträchtigung
durch Mobilfunkanlagen bislang nicht nachgewiesen werden konnte und mögliche
Auswirkungen auf die Gesundheit zum Grossteil spekulativer Natur (!) seien.
Unter Berücksichtigung des weiten Ermessensspielraums der Staaten in Umweltfragen sowie des Interesses der modernen Gesellschaft an einem vollständig ausgebauten Mobilfunknetz bestehe daher keine Verpflichtung zur Setzung weiterer Massnahmen durch die nationalen Behörden.
Diese Entscheidung ist verfehlt, geht von einer undifferenzierten Betrachtungsweise
aus und gibt in mehrerlei Hinsicht Anlass zur Kritik:
1. Der EGMR hat in seiner Entscheidung neueste wissenschaftliche Erkenntnisse
bezüglich des Wirkungszusammenhangs zwischen Mobilfunk und Gesundheit
nicht in Betracht gezogen, sondern sich mit dem Hinweis auf eine vom schweizerischen
Bundesumweltamt veröffentlichte wissenschaftliche Studie aus dem Jahr
2003 (!) begnügt. Bereits ein Jahr später zeigte etwa die deutsche ,,Nai1a-Studie“
einen Anstieg von Krebsfällen im Umfeld von Mobilfunksendern.
2. Im vorliegenden Fall hätten sich die Gerichte ein persönliches Bild über die
,,Sattelfestigkeit“ der pro- und kontra Argumentation der Parteien machen sollen. Es
wurde weder ein medizinischer Sachverständiger für Mobilfunk noch Zeugen zu
Rate gezogen, darüber hinaus wurde der Antrag der Beschwerdeführerin abgelehnt,
einen Messtechniker zwecks Vorstellung einer neuen Methode zum Nachweis
gesundheitsschädlicher Auswirkungen durch elektromagnetische Strahlung vorzuladen.
Zwar mag ein durchgehend schriftliches Verfahren unter besonderen Umständen
gerechtfertigt sein, im vorliegenden Fall ging es aber um behauptete
Eingriffe in eminent wichtige Schutzgüter wie Gesundheit, Leben und körperliches
Wohlbefinden. Die Gerichte wären daher zu besonderer Sorgfalt und Umsicht
verpflichtet gewesen. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung hätte ihnen
Gelegenheit gegeben, die Glaubwürdigkeit der Beschwerdeführerin zu überprüfen
und ihren Fall einer fundierten (!) Überprüfung zu unterziehen.
3. Die Hinweise mehren sich, dass Mobilfunk eine ernste Gefahr für die
Gesundheit der Bevölkerung darstellt. Der Grad der vorliegenden Evidenz für eine
gesundheitsschädigende Wirkung hochfrequenter Strahlung ist schon derzeit
ausreichend, um weitergehende Reduktionen der Strahlenbelastung zu rechtfertigen.
Bei dem derzeitigen Kenntnisstand zu warten ist unverantwortlich und steht
auch im Widerspruch mit dem völkerrechtlichen Vorsorgeprinzip. Danach sind die
Staaten zur frühzeitigen Untersuchung und vorausschauenden Bekämpfung
möglicher Gefahren für die Umwelt auch dann verpflichtet, wenn die strengen
Voraussetzungen einer wissenschaftlichen Fundierung der Gefahr noch nicht erfüllt
sind.
4. Leben und Gesundheit sollten absoluten Vorrang vor dem ,,wirtschaftlichen
Wohl des Landes“ geniessen, im Bereich der Umwelt und Gesundheit sollte der
Ermessensspielraum der Staaten daher nicht ein weiter, sondern vielmehr ein
begrenzter sein. Übrigens: Wenn der EGMR schon von einer modernen Gesellschaft
spricht, sollte auch der Umwelt- und Gesundheitsschutz diese Eigenschaft besitzen,
nämlich einen optimalen Schutz der Gesundheit der Bevölkerung und der Umwelt
gewährleisten. Derzeit ist dies leider weder in Österreich noch sonst wo in Europa
der Fall.
Siehe Katharina L gegen die Schweiz, Zulässigkeitsentscheidung vom 17 .I.2006, Bsw. Nr. 42.756/02.
Der zweite Fall (vom 22.6.06)
von Hans-U. Jakob, 29.6.06
Nachdem das erste Urteil weltweit zu heftigen Protesten und teilweise wüsten Kommentaren geführt hat, weigert sich jetzt der Gerichtshof, jegliche weitere Auskünfte zum zweiten, von Gigaherz eingereichten Fall zu erteilen. Dieses Vorgehen des EMRK gibt natürlich allen bereits kursierenden Verschwörungs- und Unterwanderungstheorien gewaltigen Auftrieb. Wie es scheint zu Recht!
Die Mitteilung, dass die Beschwerde wegen Unzulässigkeit abgewiesen sei, umfasst lediglich eine halbe Seite und gipfelt in folgender Feststellung:
Zitat:
Soweit die Beschwerdepunkte in seine Zuständigkeit fallen, ist der Gerichtshof aufgrund aller zur
Verfügung stehenden Unterlagen zur Auffassung gelangt, dass die Beschwerde keinen Anschein einer Verletzung der in der Konvention oder ihren Zusatzprotokollen garantierten Rechte und Freiheiten erkennen lässt (siehe L ./. Schweiz, Nr. 42756102, Entscheidung vom 17. Januar 2006).
Diese Entscheidung ist endgültig und unterliegt keiner Berufung an den Gerichtshof sowie an die
Grosse Kammer oder eine andere Stelle. Sie werden daher Verständnis dafür haben, dass die Kanzlei Ihnen keine weiteren Auskünfte über die Beratungen im Richterausschuss geben und auch keinen weiteren Schriftverkehr mit Ihnen in dieser Angelegenheit führen kann.
Sie werden in dieser Beschwerdesache keine weiteren Zuschriften erhalten. und Ihre Beschwerdeakte wird ein Jahr nach Datum dieser Entscheidung vernichtet werden.
Ende Zitat
Gigaherz kann es noch kürzer machen.
Wir teilen dem EMGR hiermit mit, dass wir dafür gar kein Verständnis haben und uns an dieses Skandalurteil in keiner Weise gebunden fühlen. Unsere Arbeit geht ungebremst weiter! Möglicherweise jetzt mit ganz anderen Strategien.
Siehe B/Schweiz Beschwerde Nr. 19915/02>/p>
1)
Oesterreichisches Institut für Menschenrechte
Mönchsberg 2
A-5020 Salzburg
e-mail: oim.menschenrechteATsbg.ac.at
www.uni-salzburg.at/oim
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