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Wegen Mobilfunk: Jeder Zwanzigste hat gesundheitliche Probleme

Ein Interview der Obersee Nachrichten von Verena Schoder mit Frau Dr. med Yvonne Gilli, publiziert bei Gigaherz am 30.5.07 mit freundlicher Genehmigung der Redaktion der Obersee Nachrichten Rapperswil-Jona.

 
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 Frau Dr. med Yvonne Gilli wird auch als Referentin am 5.Nationalen Kongress Elektrosmog-Betroffener am Samstag 10.November 07 im Stadttheater Olten zu hören sein.

Organisiert und durchgeführt durch Gigaherz.ch

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Obersee Nachrichten: Beim Handy ist es wie mit dem Auto: Alle ärgern sich über den Lärm und die Abgase, aber keiner will zu Fuss gehen. Auch auf das Handy will keiner mehr verzichten.

Müssen wir umdenken?

Yvonne Gilli: In der heutigen Zeit werden neue Technologien schnell weiterentwickelt und auf den Markt gebracht, lange bevor deren gesundheitliche Gefahren erforscht sind. Bei der drahtlosen Kommunikation war der technologische Fortschritt rasant: Vom simplen Telefonieren am Kabel sind wir innert eines Jahrzehntes ins Zeitalter der Videotelefonie per Funk gerutscht. Als Konsumenten müssen wir deshalb vermehrt auch selbst Verantwortung übernehmen und uns informieren, wie wir Auto und Handy sinnvoll nutzen.

Informationen können sehr gegensätzlich sein, je nachdem, von welcher Seite sie kommen. Wem soll man denn glauben?

Yvonne Gilli: Ja, die Informationsbeschaffung ist ein Problem. Für Konsumenten ist es schwierig, die Qualität der Information zu überprüfen. Dies kann zu einem Gefühl der Ohnmacht

führen. Vielleicht ist das ein Grund, warum viele nicht den Mut haben, ihr Verhalten zu verändern. Was die Gesundheit betrifft haben darum Ärzteschaft und Konsumentenorganisationen eine besondere Verantwortung.

«Es kann zu einem Ohnmachtsgefühl führen»

Sind Mobiltelefone wirklich so gefährlich für die Gesundheit?

Yvonne Gilli: Sorge bereiten uns zurzeit Berichte über die Entstehung von Gehirntumoren, wenn das Handy oder Schnurlostelefon über eine Zeitdauer von mehr als zehn Jahren benutzt wird. Wie gross diese Gefahr ist, wissen wir heute noch nicht. Ich gehe aber davon aus, dass wir uns durch einfache Massnahmen schützen können (siehe Box).

Die mobilfunkindustrienahen Experten bewerten die Felder von Handys bei Einhaltung der Grenzwerte als gesundheitlich unbedenklich.

Yvonne Gilli: Handystrahlung kann das Körpergewebe erhitzen, vergleichbar einem Mikrowellenherd, mit dem wir Speisen erwärmen. Die heutigen Grenzwerte schützen uns sehr wirksam vor einer zu starken Erwärmung. Heute wissen wir aber, dass Handystrahlung noch eine andere Wirkung zeigt. Wir nennen diese zweite Wirkung nicht thermisch oder biologisch. Es gibt gute wissenschaftliche Studien, die eine biologische Wirkung weit unter den geltenden Grenzwerten belegen. Für sie gibt es keine Grenzwerte. Gerade die Berichte zur Entstehung von Gehirntumoren mahnen aber zur Vorsicht.

Aber die Hersteller von Mobilfunkantennen sind doch gesetzlich verpflichtet, die geltenden Vorschriften und Grenzwerte zum Personenschutz einzuhalten. Genügt das nicht?

Yvonne Gilli: Die Grenzwerte schützen unseren Körper vor einer Erwärmung, nicht aber vor nicht thermischen Wirkungen. Im Rahmen eines Pilotprojektes der Universität Basel wurden Personen untersucht, die sich wegen Mobilfunkstrahlung krank fühlten. Die Forscher fanden bei acht von 25 untersuchten Personen einen plausiblen Zusammenhang zwischen Mobilfunkstrahlung und gesundheitlicher Beeinträchtigung trotz eines Strahlungswertes, der ungefähr das Zehnfache unter dem geltenden Grenzwert lag. Heute gehen wir davon aus, dass ungefähr jeder zwanzigste Schweizer wegen Mobilfunkstrahlung unter gesundheitlichen

Problemen leidet.

Behandeln Sie als Hausärztin Patienten mit Erkrankungen, die von Belastungen von Strahlen und elektromagnetischen Feldern herrühren?

Yvonne Gilli: Ja, Menschen, die unter «Elektrosmog» leiden, zeigen Beschwerden, die sich keiner bestimmten Krankheit zuordnen lassen. Sie leiden an Erschöpfung, Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen, Schlafschwierigkeiten, Herzklopfen, Hautrötungen …

Heute machen solche unspezifischen Beschwerden bis zu 30 Prozent der Arztbesuche aus – und lange nicht bei allen ist Elektrosmog die Ursache. Diagnose und Beratung stellen deshalb eine grosse Herausforderung dar und erfordern spezielle Kenntnisse.

Ist es denn erwiesen, dass Mobilfunkwellen Hirnströme verändern oder Krebs erzeugen können?

Yvonne Gilli: In mehreren Studien zeigten sich Veränderungen der Hirnströme, vorausgesetzt es handelte sich um gepulste Strahlung, die nicht gleichmässig über längere Zeit einwirkte. Ob Mobilfunkstrahlung Krebs verursacht, wissen wir noch nicht. Wir wissen aber, dass sie bei lebenden menschlichen Zellen im Reagenzglas zu Genschäden führen kann. Der Grund dafür ist nicht bekannt. Durch Zugabe von Vitamin C können diese Schäden verhindert werden. Dies ist ein Hinweis, dass Mobilfunkstrahlung im Sinne von Stress auf die Zelle einwirkt. Es gibt viele giftige Einwirkungen auf die Zellen, die Genschäden verursachen können.

Ist Ihrer Meinung nach zu befürchten, dass für uns Menschen die Elektrosensibilität in der Zukunft zunimmt?

Yvonne Gilli: Je mehr Menschen hochfrequenter elektromagnetischer Strahlung ausgesetzt sind als Folge des weiteren Netzausbaus von GSM zu UMTS zu WLAN, desto mehr Menschen werden voraussichtlich unter Beschwerden leiden. Salzburg gab eine Studie in Auftrag, deren Resultate brandaktuell sind und die zeigen, dass ab einer Strahlungsintensität von 0.4 Volt/m biochemische Veränderungen im Speichel des Menschen nachweisbar sind, die als Schwächung des körpereigenen Abwehrsystems interpretiert wurden. Die Schweizer Anlagegrenzwerte betragen 4 bis 6 Volt/m. Sie müssen an Orten eingehalten werden, an denen sich Menschen über längere Zeit aufhalten.

Leiden auch Tiere und Pflanzen unter diesem Phänomen?

Yvonne Gilli: Ja, Effekte werden auch bei Pflanzen und Tieren gefunden. Im Tierspital Zürich wurden Kälber eines Bauern aus Winterthur auf einen möglichen Zusammenhang mit Mobilfunkstrahlung untersucht, weil sie blind zur Welt kamen.

Wer gewährleistet den Schutz vor elektromagnetischen Feldern?  Jemand muss doch verantwortlich sein für unsere Gesundheit.

Yvonne Gilli: 1999 hat der Bundesrat, gestützt auf das Umweltschutzgesetz, die Verordnung über den Schutz vor nichtionisierender Strahlung (NISV) verabschiedet. Für die Schweiz wurden zwei Grenzwerte festgelegt: der Immissionsgrenzwert für die Gefahrenabwehr und der Anlagegrenzwert im Sinne der Vorsorge. Sie begrenzen die Mobilfunkstrahlung von stationären Anlagen, nicht aber von Geräten wie dem Handy. 2006 befasste sich eine Arbeitsgruppe unter der Leitung des Bundesamtes für Gesundheit unter anderem mit der Frage, ob für Handys oder Schnurlostelefone ebenfalls Grenzwerte eingeführt werden müssten. Diese Arbeitsgruppe stellte fest, dass der Gesundheitsschutz bezüglich nicht ionisierender Strahlung in der Schweiz Lücken aufweist. Es fehlt aber das Personal, um neue gesetzliche Grundlagen zu erarbeiten.

«Wir fordern Herabsetzung der Grenzwerte»

Was muss Ihrer Meinung nach getan werden? Wie soll sich die Bevölkerung wehren? Kann sie sich überhaupt wehren?

Yvonne Gilli: Im Sinne der Vorsorge unterstütze ich die Forderungen der Ärzteschaft für Umweltschutz. Sie verlangen die Herabsetzung der Grenzwerte auf 0.6 Volt/m. Zudem fordern wir einen Stopp im weiteren Ausbau der Mobilinfrastruktur und eine Aufklärung der Bevölkerung. Auf die Erstellung von flächendeckenden WLANNetzen, wie sie zurzeit St. Gallen und Luzern entstehen, ist klar zu verzichten. Es braucht eine industrieunabhängige Forschung und die Erstellung eines nationalen Krebsregisters.

Und politisch?

Yvonne Gilli: Politisch kann die Bevölkerung zur Zeit wenig Einfluss nehmen. Bald sind aber Wahlen – und es können diejenigen Politikerinnen und Politiker gewählt werden, die sich in den vergangenen Jahren für die Interessen zum Schutz vor Mobilfunkstrahlung engagiert haben. Im Sinn der Eigenverantwortung gibt es Interessengruppen wie SUMM, Fachgruppen wie die Ärzte für Umweltschutz und öffentliche Amtsstellen, die Empfehlungen abgeben. Elektrosmog reduzieren heisst: ausschalten, ausstecken, Abstand halten, Kabel statt Funk.

Von Hans-U. Jakob

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